Die Stimmung wird bösartig

Erstmals seit 1991 ist die Opposition in Serbien bereit, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Die apathischen Bürger spüren Adrenalin im Blut

aus Belgrad IVAN IVANJI

Mehr als 20.000 Menschen folgten auch am Donnerstagabend dem Aufruf der serbischen Opposition und versammelten sich vor dem Rathaus im Zentrum von Belgrad. Es wurden Nachrichten der von der Polizei besetzten Rundfunkstationen Studio B, Radio B2-92 und Index öffentlich vorgelesen. Und dann geschah es wieder, wie am Tag davor: Die Demonstranten waren es plötzlich leid, nur zuzuhören. Sie begaben sich über die Hauptstraße zum gleichgeschalteten Studio B. Dem Polizeikordon entgegen.

Mit Schutzschilden, Helmen, Gasmasken und Knüppeln ausgerüstete Polizisten versperrten den Bürgern den Weg. „Geht ins Kosovo!“, brüllten die Demonstranten erbost, und: „Rette Serbien und bringe dich um, Slobodan!“, bestellten sie dem jugoslawischen Präsidenten Milošević. Die angeheizte Stimmung eskalierte in einer Straßenschlacht. Die Polizei ließ drei Jeeps in die Menge rasen und löste Panik aus. Die Demonstranten warfen Flaschen, Steine und Molotowcocktails auf die Polizisten und bauten Barrikaden aus Mülltonnen und Betonklötzen.

Dann erhielt die Ordnungsmacht Verstärkung, und die Demonstranten wurden unter Einsatz von Tränengas und Schockbomben auseinander getrieben. Panisch liefen die Menschen davon, stolperten, fielen auf das Pflaster. Die Hetzjagd durch die Innenstadt dauerte stundenlang. Polizisten verprügelten wild einen jeden, der ihnen über den Weg lief. Wer konnte, rettete sich in das Rathaus, in dem sich auch serbische Oppositionsführer versteckten. Polizisten setzten an, das Tor des Rathauses zu zerschlagen, wurden von ihren Vorgesetzten jedoch zurückgepfiffen. Wütend demolierten sie dafür die vor dem Stadtparlament geparkten Autos. Traurige Bilanz des zweiten Protesttags in Belgrad: Mehr als hundert verletzte Bürger und Polizisten.

In vielen anderen Städten Serbiens verliefen Protestkundgebungen unter dem Motto „Stopp dem Terror“ ruhig. „Wir werden bis Montag täglich friedlich demonstrieren. Wenn die serbische Regierung bis dann Studio B nicht freigibt, wird unser Kampf für die Befreiung der Medien andere Formen annehmen“, erklärte drohend Žarko Koraź, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Union.

Doch die jüngste Protestwelle in Belgrad war von Anfang an alles andere als friedlich. Es scheint, dass die Oppositionsführer die Menschen nicht mehr zügeln können. Von einem allgemeinen Aufstand in Serbien kann aber nicht die Rede sein, im ganzen Land protestierten in den vergangenen Tagen nur einige zehntausend Menschen. Die Stimmung ist jedoch bösartig, aggressiv, zum ersten Mal seit 1991 zeigen die Oppositionellen Demonstranten die Bereitschaft, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Plötzlich spüren die apathischen Bürger Serbiens Adrenalin in ihrem Blut. Und der Aufruf der Opposition zum aktiven Widerstand könnte gefährliche Ausmaße annehmen.

Das hat auch das Regime erkannt. „Das Übel muss ausgerottet werden“, erklärte Vojslav Šešelj, Vizepräsident der serbischen Regierung und Präsident der extrem nationalistischen Radikalen Partei (SRS). „Der Westen“ sei von den Leistungen der serbischen Oppositionsführer enttäuscht und hätte deshalb als „direkte Handlanger der amerikanischen Nachrichtendienste“ die „terroristische Organisation Otpor (Widerstand) engagiert“, um mit der Opposition Chaos und Terror in Serbien auszulösen.

Die SRS setzte sich für die Schließung aller „von der Nato finanzierten Medien“ wie die Mitglieder der „Assoziation elektronischer Medien“ und die Belgrader Tageszeitungen Glas Javnosti und Danasein, die zum Aufstand in Serbien aufrufen würden. Šešelj würde es am liebsten vermeiden, einzelne politische Parteien zu verbieten, doch wenn das notwendig sei, um die „Verfassungsordnung zu schützen“, werde man auch diese Maßnahme nicht scheuen.

Es geht ums Ganze. Sowohl für das Regime als auch für die Opposition. Das Kriegsbeil ist ausgegraben, es gibt kein Zurück mehr „Es geht nicht mehr allein um die besetzten Medien, die lokale Selbstverwaltung in über fünfzig von der Opposition verwalteten Städten steht auf dem Spiel“, erklärte Zoran Djindjić, Vorsitzender der Demokratischen Partei (DS). Sollte das Regime heute mit der gesetzwidrigen Besetzung unabhängiger Medien durchkommen, dann könnte es morgen Wohnungen Andersdenkener beschlagnahmen. Er warnte Milošević, „das Klima der Gewalt“, das er während seiner Herrschaft geschaffen habe, könne sich leicht gegen ihn selbst richten.