Kokain beim Barkeeper

Drogenhandel durch Duldung regulieren: Hilfseinrichtungen fordern „neuen Tabubruch in den Köpfen“. Crack erhöht Druck auf Szene  ■ Von Heike Dierbach

In dem Kellerraum sieht es fast aus wie in jeder Bar: Gäste sitzen an Tischen, einer holt sich an der Theke gerade – eben keine Caipirinha. Sondern Heroin. Oder Kokain. In guter Qualität, zu fairen Preisen. In den „Basements“ im niederländischen Rotterdam können Drogensüchtige nicht nur unbehelligt konsumieren, sondern den Stoff auch vom Dealer kaufen. Der Initiator der Basements, Pastor Hans Visser, war am Sonnabend Gast auf einem Workshop im Schanzenviertel. Hamburger Drogenhilfeeinrichtungen aus dem niedrigschwellig-akzeptierenden Bereich fordern eine Übernahme des Konzeptes für die Hansestadt.

„Die bestehenden Gesetze geben nicht mehr viel her“, sagt Rainer Schmidt, Geschäftsführer von „Palette e.V.“, „wir brauchen einen neuen Tabubruch in den Köpfen“. Der Grund: Immer mehr KonsumentInnen nehmen Crack, rauchbares Kokain. Ihnen zu helfen, so Schmidt, „das ist eine ganz andere Dimension als bei Heroin“. Denn bei Crack kommt der Kick innerhalb von Sekunden, hält aber nur wenige Minuten an. Die KonsumentInnen leben in einem dauernden Auf und Ab und „das macht aggressiv“. Die Hektik der illegalen, unkontrollierten Deals verschärft diesen Effekt noch.

Das musste auch Visser in seinen Basements beobachten, als der Handel dort zwar schon geduldet, aber noch unreguliert war. Die Konkurrenz der Dealer führte zudem zu „Unannehmlichkeiten, manchmal auch zu Gewalttätigkeiten.“ 1994 wählte Visser deshalb drei Dealer „mit gutem Ruf“ aus und erlaubte ihnen, in den Basements zu verkaufen. Mittlerweile hat er zusammen mit einer Selbsthilfegruppe eine „Stiftung zur Regulierung des Drogenhandels“ gegründet. 30 Dealer sind heute Mitglied.

Sie müssen bereit sein, ihre Drogen kontrollieren zu lassen, „vernünftige“ Preise zu nehmen und ihre KonsumentInnenzahl über ein Ausweissystem zu lenken. Einen Ausweis erhalten nur Menschen, die schon lange Drogen nehmen, in Rotterdam wohnen, eine Probezeit absolvieren und die Hausregeln einhalten. Es gibt einen „Kundenrat“, Mitglieder der Selbsthilfegruppe achten darauf, dass keiner zu viel und pausenlos konsumiert.

Die Lebenssituation der Süchtigen hat sich durch den – europaweit einmaligen – regulierten Handel verbessert, berichtet Visser: Das Gesundheitsrisiko ist durch die Kontrolle des Stoffs gesunken, die niedrigeren Preise senken die Beschaffungskriminalität. Mit der Bevölkerung rund um die elf Basements, so Visser, habe man – nach vielen Diskussionen – einen modus vivendi gefunden. Wie auch mit Polizei und Justiz: Kommt ein Beamter, unterbrechen die Dealer den Handel. „Die Duldung“, stellt Visser klar, „sehen wir als etwas Vorübergehendes.“

Rainer Schmidt spricht deutlicher von „Legalisierung“. Als ersten Schritt fordert er für Hamburg „ein gesellschaftliches Klima, das es uns ermöglicht, unkonventionelle Wege zu gehen“. Die kontrollierte Heroinabgabe allein werde das Problem nicht lösen, „die Erwartungen sind da viel zu hoch“. Und Crack sei nicht substituierbar. Gelinge es deshalb nicht, in der Drogenpolitik einen Schritt voranzukommen, „dann bleibt als Ausweg irgendwann nur noch die Repression.“