Spielen vor einem Eisblock

■ Die Choreographin Irina Pauls wollte in Oldenburg das Tanztheater einführen. Doch das war schwierig in der Residenzstadt. Kurz vor ihrem eher unfreiwilligen Abschied zieht sie in einem taz-Interview ernüchtert Bilanz

Sie tanzte aus der Reihe und wurde öffentlich abgestraft. Denn mit Bemerkungen über die Schwierigkeit des Tanz-Theatermachens in Oldenburg verstieß Tanzchefin Irina Pauls gegen den gepflegten Residenzstadtton. Sie geht, das Ensemble löst sich auf. Publikum und lokales Feuilleton sind aber gerade erst auf den Geschmack von „Irina“ gekommen. Von ihnen verabschiedet sich die Choreographin mit dem Tanzabo „Take Five, buy 4“. Doch ganz so billig kommt ihr Oldenburg dann doch nicht davon, wie sich im Interview herausstellt.

taz: Sind Sie nicht nach der positiven Reaktion auf ihre letzte Premiere auch traurig zu gehen?

Irina Pauls: Das hat mit der Reaktion auf die Premiere wenig zu tun. Insgesamt bin ich traurig. Denn es braucht immer eine Zeit, bis man die neue Situation sondiert hat, und das ist jetzt nach zwei Jahren gerade so im Anfangsstadium.

Sie hatten vor einem Jahr sinngemäß geäußert, es sei schwierig, Ihre Auffassung von Tanztheater hier in Oldenburg zu etablieren. Wie sehen Sie das jetzt?

Das sehe ich ganz genauso. Für den Alltag – also jenseits der Premierenstimmung – ist die Publikumsdecke einfach zu dünn. Wir haben zwar einerseits einen unglaublich interessierten Zuschauerstamm gewonnen, aber der ist einfach klein. Es würde eine ganz intensive Weiterarbeit in Richtung Tanztheater erfordern, dass man das langsam erweitert. Wir könnten im kleinen Haus immer wunderbar spielen und tun das auch nur für interessiertes Publikum aus dem Freiverkauf. Aber die Situation im großen Haus empfinde ich für mich persönlich als dramatisch, weil die Abonnenten, die sich die Stücke dort angucken, zum großen Teil einfach mit den Ideen, mit der Ästhetik nicht umgehen können. Für mich als Theatermacherin ist es so, dass ich nicht immer oben stehen will und sagen möchte „So ist es“, um dann dabei das Gefühl zu haben, die anderen wollen das nicht. Und auch für die Tänzer ist das schwierig, weil sie das abhalten müssen. Sie spielen da vor einem Eisblock und tanzen in einen leeren Raum. Ein Stück, das uraufgeführt wird, wächst ja im Lauf der Zeit weiter. Aber unter diesen Bedingungen können die Stücke nicht wachsen, sondern sie zerbröseln und gehen kaputt. Dabei ist es doch auch eine Qualität, ein Publikum zu sein, das diese Prozesse begleitet.

War es Ihnen oder dem scheidenden Intendanten Stefan Mettin nicht möglich, mit dem zukünftigen Theaterchef Rainer Mennicken Gespräche über Ihren Verbleib zu führen?

Vieles am Theater ist einfach eine Gefühlsfrage. Als klar war, dass Mettin geht und der Neue bestätigt war, hab ich erwartet, dass der neue Intendant auf mich zukommt und Gespräche führt oder irgendwie ein Zeichen gegeben hätte, so wie er es auch gegenüber anderen Mitarbeitern getan hat. Dieses Zeichen ist von seiner Seite nicht gekommen. Ich fühlte mich in eine Entscheidungssituation gepresst, und in dem Moment, wo für mich die Situation in der Stadt so schwierig wurde, habe ich dann öffentlich die Flucht nach vorne ergriffen und meinen Abschied erklärt. Im Nachhinein bestätigt sich das für mich, wenn Mennicken öffentlich sagt, wie günstig das für ihn ist, dass er freie Hand hat.

Wer hat denn diese Situation herbeigeführt – das ablehnende „überalterte“ Publikum?

Diese Publikumssituation war künstlich herbeigeführt. Es ist natürlich, dass es Zeit braucht, ein Publikum für eine andere Ästhetik zu gewinnen. Aber das war ja ein absoluter Pressekrieg gegen meine Person, in dem es gar nicht mal um mich ging. Da wurde dann zum Beispiel ein Leserbrief der ehemaligen Ballettchefin, Frau Collet, indem sie sich empört und ihre eigene Arbeit preist, als redaktioneller Artikel im Feuilleton der NWZ gebracht. Ich hab den Eindruck, dass die Theatersituation hier über Jahre schon ein Reibungspunkt ist, und ich bin letztlich in dieses Getriebe geraten und war der Stein des Anstoßes, dieses Getriebe zu zerstören. Dabei ging es auch nie um meine Arbeit, sondern um meine Person, was dazu führte, dass ich auch im Haus immer isolierter war. Ich fühlte mich als Mittel zum Zweck.

Welchen Zweck vermuten Sie?

Ich glaube, dass es darum ging, die Politik von Herrn Mettin, hier auch progressive Formen zu etab-lieren, zu durchlöchern. Ich wurde dazu benutzt, öffentlich deutlich zu machen, dass diese Form von Theater hier keine Chance hat – oder sagen wir: keine haben darf. Aber das habe ich in der Situation selbst nicht durchschauen können, sonst hätte ich mich anders dazu gestellt.

Hätte Mettin sich nicht vor Sie stellen müssen, als ihm im NWZ-Interview Disziplinarmaßnahmen gegen Sie nahe gelegt wurden?

Ja, auf jeden Fall, das hätte ich gebraucht. Ich muss auch sagen, dass ich da persönlich außerordentlich enttäuscht bin, zumal er mir in der Arbeit immer den Rücken gestärkt hat. Aber überhaupt so einen Satz zuzulassen oder über MitarbeiterInnen öffentlich zu diskutieren finde ich ganz weit weg davon, wie man miteinander umgehen sollte.

Fragen: Marijke Gerwin