„Jeden Verstand verloren“

■ Der Frankfurter Kabarettist Matthias Beltz über sein neues Programm, das er beim Kabarett-Festival vorstellt, und die moralische Bilanz Deutschlands

Am Donnerstag beginnt in den Kammerspielen das diesjährige Kabarett-Festival. Knapp vier Wochen lang versuchen bekannte und noch unbekannte Künstlerinnen und Künstler, einen Überblick über die deutschsprachige Szene zu geben (Programm siehe Kasten). Politisches Kabarett steht ebenso auf dem Programm wie musikalisches. Aber: Worüber soll und muss man Kabarett machen? Gibt es noch einen Kanon, auf den man sich einigen kann? Die taz hamburg fragte Matthias Beltz.

taz hamburg: Herr Beltz, Sie präsentieren auf dem Kabarett-Fes-tival der Kammerspiele Ihr neues Programm. Worum geht es dabei?

Matthias Beltz: Eine gute Frage die immer wieder unbeantwortbar bleibt. So ähnlich wie: Herr Goethe, was macht eigentlich Ihr Faust? Och ja, der läuft. Das Programm heißt „Eigenes Konto“, aber es geht nicht um das Bankwesen, sondern um die seltsame Vermischung der moralischen Begriffe mit dem Vokabular der Buchhaltung wie zum Beispiel die ,moralische Bankrotterklärung'. Schon bevor es das große Finanzkapital gab, hat die Sprache einen Knacks gekriegt. Vielleicht ist ja Martin Luther schuld wie an so vielem oder der Papst.

Letztlich geht es also um Moral?

Ja, davon wird ja in letzter Zeit so viel geredet. Spätestens seit dem Krieg auf dem Balkan, bei dem die Fischer-Scharping-Schröder-Bande – nach dem Ende der Bader-Meinhof-Bande ist ja eine Pause im Terrorismus eingetreten – moralisiert und das deutsche Volk mitgemacht hat. Selbst die taz war ja teilweise dabei und hat jeden Verstand verloren.

Aber doch nicht nur die taz.

Nein, auch die Grünen haben jeden Verstand verloren, wie man beim Parteitag in Bielefeld gemerkt hat, als sie ihre esoterischen Betroffenheitstage abgehalten und sich immer ans Herz gefasst haben anstatt einmal nachzudenken. Das war ein Bruch in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Oder besser Vorkriegsgeschichte.

Seit wann hat sich die denn abgezeichnet?

Nach dem Beginn der Abrüstung und dem Zusammenbruch des Sozialismus. Da war ganz schnell klar, dass ein konventioneller Krieg für uns wieder führbar ist. Das hat sich auf dem Balkan dann auch sehr schnell als richtig herausgestellt. Und das wiederum hat Einfluss auf das Reden über Moral.

Und das greifen Sie in Ihrem Programm auf.

Genau. Mich interessiert, wie über Moral geredet wird, und zwar nicht in diesen Apostelzirkeln von Ulrich Wickert bis hin zum Kirchentag, sondern bei normalen Leuten.

Der Titel „Eigenes Konto“ bezieht sich also nicht auf die Spendenpraxis der CDU, sondern auf die moralische Bilanz der BRD.

Ja, aber auch auf mein Leben. Ich kontrolliere quasi meine Kontoauszüge und schaue mir an, was bisher passiert ist.

Sind Sie in den roten oder den schwarzen Zahlen?

Das sehen wir dann am Ende des Programms.

Sie wissen es also selbst noch nicht.

Nein, das Stück ist noch gar nicht fertig. Kabarett ist ja nicht wie Theater, wo man eine bestimmte Rolle entwickelt, sondern man muss den Text einigermaßen dramaturgisch hinbekommen. Sonst schlafen die Leute ja ein. Ein paar dramatische Möglichkeiten haben wir natürlich auch. Aber wenn nur einer auf der Bühne steht, ist es egal, ob er von links oder von rechts kommt.

Das Ganze hört sich eher nach traditionellem Politkabarett an.

Nein, eigentlich nicht. Ich moralisiere nicht wie das traditionelle Kabarett. Das waren ja diese furchtbaren Gesellen, die behauptet haben, sie seien die besseren Menschen und das dann am Publikum ausgelassen haben. Selbst einer wie Wolfgang Neuss hat sich ja für schlauer und moralisch überlegen gehalten gegenüber den normalen Wixgesichtern, bis er gemerkt hat, dass er es auch nicht besser weiß. Das ist ja auch das Kabarett, das sich in der DDR sehr lange gehalten hat. Die wussten immer, wo es lang geht und wer schuld ist. Das ist natürlich langweilig, wenn die Antworten so einfach sind: das Kapital. Oder Gregor Gysi, je nach Position.

Wollen Sie denn eher unterhaltsam sein denn belehrend?

Genau. Für Belehrung ist die Bühne nicht da. Dafür haben wir Tageszeitungen.

Gibt es denn das Hildebrandtsche Primat im Kabarett noch? Immerhin tritt auch dessen ständiger Partner Bruno Jonas in den Kammerspielen auf.

Das stirbt langsam aus, weil da-rin Sozialdemokraten mehr Rechte haben als Christdemokraten. Das ist ja schon von Haus aus ein Witz. Spätestens seit die SPD an der Regierung ist merkt man, dass das Quatsch ist. Das kommt aus den Zeiten, als links noch mit Sozialdemokratie identifiziert worden ist, was abenteuerlich sein mag, und als moralisch und politisch überlegen galt. Das ist wie eine fortdauernde Jugendsünde.

Wo steht denn heute der Freund? Gibt es den noch oder kann man nur noch als kabarettistischer Terminator auf alles einschlagen?

Positionieren kann man sich nur individuell, aber nicht auf ein großes Kollektiv bezogen, das das Politische sowieso ungemütlich macht. Man gehört ja nicht automatisch zum besseren Deutschland, wenn man am Sonntag gegen die Nazis demonstriert. Es muss sich auf der Bühne auch nicht eine klare Position durchsetzen. Heiner Müller hat immer gesagt: Ich sage nicht, was ich meine. Es ist ja ein Spiel. Ich kann ja auch nicht ernsthaft Scharping kritisieren. Wenn das nötig wäre, dann müsste man sich umbringen, so ein offensichtliches Arschloch ist das.

Wen kann man denn noch angreifen?

Man kann natürlich verlangen, dass Kabarett die Macht angreifen muss. Aber wer hat die Macht? Es ist ja nicht eine postmoderne Spielerei zu sagen, dass die Macht subjektlos geworden ist. Das steht schon bei Marx: Die Geschichte geschieht hinter den Rücken derjenigen, die glauben, sie zu bestimmen, und dass Kapitalisten Charaktermasken sind. Und bei diesem Stichwort fällt einem ziemlich flink unsere Bundesregierung ein. Die wahre Macht zu bestimmen fällt viel schwerer. Die am stärksten wachsenden Branchen zum Beispiel sind Drogen- und Menschen- oder besser Kinderhandel. Das wird teils legal gemacht, teils illegal. Da ist es schwer herauszufinden, wer diesen Handel beherrscht. Weltweit zu bestimmen, wer die Schweine sind, ist an einzelnen Personen nicht festmachbar.

Und auch schwer zu vermitteln.

Natürlich. Viele der nationalen Befreiungsbewegungen leben vom Drogen- und Kinderhandel. Da ist es schwer mit Solidarität, aber man muss das in die Köpfe bekommen. Da wird es dann schwer noch zu sagen, Solidarität sei die Zärtlichkeit der Völker. Bei dem Gemauschel möchte ich nicht dabei sein.

Das hört sich fast schon verzweifelt an.

Das ist auch der Sinn und Zweck meines Programms. Ich möchte die Leute von der Hoffnungslosigkeit über die Verzweiflung hin zur Trostlosigkeit führen.

Interview: Eberhard Spohd