Gelobt sei, was provoziert

Das hässliche Haupt des belehrbaren Deutschen: Ist die Neue Deutsche Härte so gefährlich, wie sie von ihren Kritikern gemacht wird, oder einfach nur dumpfes Gegenmodell zur Spaßgesellschaft?

von DANIEL BAX

Soll keiner sagen, er sei nicht gewarnt worden. „Etwas kommt in deine Welt“ heißt die neue Platte der Gothic-Rockband Weissglut, die dieser Tage in den Läden gelandet ist – weitgehend unbemerkt, abgesehen von ein paar wohlmeinenden Rezensionen in der Hardrock-Fachpresse.

Beim Debüt vor zwei Jahren war das noch anders – damals gerieten Weissglut ins Schlaglicht vieler Medien, weil ihr Sänger Josef Maria Klumb auffällig gerne in den nebligen Wortlaut neurechter Rhetorik verfiel, wenn er in Interviews von der kulturellen Wiedergeburt seiner „geschändeten Nation“ schwadronierte. Das sorgte für Aufsehen, und nach mehreren unfreundlichen Artikeln nahm der Rest der Gruppe lieber Abstand von Klumb, der sich seitdem in der Rolle der verfolgten Unschuld wähnt. In der Pressemitteilung windet sich die Plattenfirma Sony um die Affäre herum: Die Band und ihr Sänger hätten sich „auf menschlicher Ebene auseinander gelebt“, habe dieser doch „durch seine Äußerungen das Klima in der Gruppe vereisen“ lassen, heißt es.

Anders die Böhsen Onkelz. Sie sind geübt in der Kunst der trotzigen Selbstbehauptung. „Ein böses Märchen“ heißt ihre neue Platte, die, kaum erschienen, Ende April an die Spitze der deutschen Verkaufscharts schnellte. Obwohl – oder gerade weil – die Brachialrocker von weiten Teilen der Musikpresse wegen ihrer rechtsradikalen Flegeljahre in den frühen Achtzigern geschnitten werden und viele Plattengeschäfte, darunter auch die Ladenkette WOM, sie bis heute nicht ins Sortiment nehmen, wollen die Onkelz einfach nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden – im Gegenteil. Dass sie Mitte der Neunzigerjahre der rechten Szene öffentlich abschwören mussten und in einem ihrer Songs manche ihrer Mitläufer beiläufig als „braune Scheiße“ bezeichneten, hat ihrer Karriere nichts anhaben können. Der Streit um ihre Vergangenheit machte die Frankfurter erst richtig bekannt und ließ ihre Gefolgschaft mit den Jahren stetig anwachsen. Dass sie ihren Namen beibehielten, ist Symbol genug für Kontinuität: böhse bleibt böse. Mit Märtyrermiene genießen sie nun die Sympathie all jener zu kurz Gekommenen, die sich wie ihre Idole als letzte Aufrechte von einer falschen, fragwürdige Konzessionen einfordernden Welt umstellt wähnen.

Rechtsdrehende Pop-Phänomene wie Weissglut und die Böhsen Onkelz bringen Musikjournalisten in Verlegenheit: Soll man über diese Bands berichten und ihnen damit zu noch mehr Aufmerksamkeit verhelfen, oder peinlich betreten über sie hinwegsehen? Letzteres geht schlecht: Wohl in keinem anderen Land dürfte einer ehemaligen Skin-Band wie den Böhsen Onkelz, die sich in ihrer Anfangszeit offen rassistisch zeigten, solch ein Erfolg vergönnt sein. Bleibt als dritte Option: Alarm schlagen und den Durchmarsch der Onkelz als Fanal sehen. Damit kann man allerdings leicht übers Ziel hinausschießen. So warnte der Berliner Tagesspiegel kürzlich allen Ernstes, die neue Platte der Onkelz könnte manchem Fan Anlass geben, gegen Asylheime zu zündeln. Doch diese Vorstellung ist so naheliegend wie die Schuldzuweisung an den Schockrocker Marylin Manson, er sei für das Schulmassaker von Littleton verantwortlich.

Die Böhsen Onkelz bieten heute nicht mehr genug Angriffsfläche: Ihr aggressives Selbstmitleid ist diffus und lässt sich nach Belieben deuten, ihre Musik ist kommerzieller Punkrock von der gleichen glatten Sorte, wie ihn auch die Toten Hosen beherrschen – und es ist längst nicht erwiesen, dass den Onkelz der gleiche kommerzielle Erfolg beschieden wäre, riefen sie immer noch „Türken raus“. Erst mit dem Verzicht auf extremistische Parolen kam schließlich die heutige Popularität. Auch zeigt das Beispiel Weissglut, wie sensibel die Medienöffentlichkeit noch immer auf tatsächlich rechte Sprüche reagiert. Dass sich Bands wie Weissglut und die Onkelz gezwungen sahen, sich von rechter Ideologie zu distanzieren, degradiert sie in den Augen wirklicher Neonazis zu Opportunisten. Echte Nazis hören andere Musik, die mit gutem Grund indiziert ist.

So weit, so gut. Andererseits ist eine bislang rechts angesiedelte Ästhetik in Mode, was unter manchen Beobachtern schon für Beunruhigung sorgt. Ihren Ausgang nahm die Irritation mit dem Erfolg von Rammstein, die, nebst Feuerzauber und Muskelspiel, das rollende „R“ zu ihrem Markenzeichen erkoren, in dem für deutsche Ohren stets eine Spur von Reichsparteitag nachhallt. Im Fahrwasser der Berliner Band wählen nun immer mehr Nachzügler Namen wie Richthofen oder setzen ihn in altdeutsche Frakturlettern, geben sich männerbündlerisch und martialisch, taufen ihre Platten nibelungentreu „Bayreuth“ (Joachim Witt), schminken sich wie in Fritz-Lang-Filmen oder verkleiden sich als Kostüm-Nazis (Megaherz), machen auf Götterdämmerung oder Mittelalter-Mummenschanz (Subway to Sally, In Extremo). Und wenn die erste Provokation nachlässt, dann schnipselt man eben ein paar Olympiafilmbilder von Leni Riefenstahl ins Musikvideo (Rammstein). Alles, was düster, dumpf und deutsch klingt, ist jetzt gerade gut genug zum Sturm auf Konzertbühnen und Kinderzimmer-Posterwände.

Aber was steckt dahinter? Ist die grassierende Teutonentümelei Folge popkultureller Regression? Ist sie Indiz für einen allgemeinen Rechtsruck? Oder ist alles nur eine subtile Form deutschen Humors? Auch den ehemaligen Rock-Hard-Redakteur Wolf-Rüdiger Mühlmann hat diese Frage beschäftigt – so sehr, das er dazu ein ganzes Buch geschrieben hat. „Letzte Ausfahrt Germania: das Phänomen der Neuen Deutschen Härte“ (Jeske & Mader 1999) ist die Fleißarbeit eines Fans des Genres. Leider wenig mehr. Mühlmann hat eine Fülle vom Detailinformationen zusammengetragen, eine Menge Interviews geführt und fällt auch leichter Hand Geschmacksurteile. Das alles hat lexikalischen Wert, ist aber wenig aufschlussreich. Wie rechts ist die Neue Deutsche Härte, möchte Mühlmann herausfinden, doch letztlich scheitert er an der Aufgabe – was auch an der politischen Ahnungslosigkeit des Autors liegt, die symptomatisch ist für die Szene, für die er zu schreiben gewöhnt ist. So lässt er den Ex-Weissglut-Sänger Klumb über mehrere Seiten hinweg Stellung beziehen zu den Vorwürfen gegen ihn, und wer schon einmal vom antisemitischen Blödsinn des Esoterik-Autors Jan van Helsing oder von rechten Ethno-Pluralismus-Thesen gehört hat, wird diese halbverdaut in Klumbs Rede wiederfinden. Doch für Mühlmann ist der Musiker damit voll rehabilitiert. Ja, er steigt sogar auf dessen wilde Verschwörungstheorien ein: So schreibt er an einer Stelle, der bekannte Klumb-Kritiker Alfred Schobert vom privaten Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, der Junge-Welt-Autor Daniel Hügel und der taz-Schreiber Daniel Bax seien ein und dieselbe Person (mein Dreifach-Leben hat die Redaktion zwar amüsiert, spricht allerdings nicht gerade für die Sorgfalt von Mühlmanns Recherche). An solchen Stellen ist „Letzte Ausfahrt :Germania“ nur ein dummes und überflüssiges Buch.

Ach ja: Mit dem Titel „Letzte Ausfahrt: Germania“ hat es auch keine tiefere Bewandtnis. Mit Germania sei kein Land gemeint (und auch nicht der gleichnamige Hauptstadtplan von Hitlers Hofarchitekt Albert Speer), sondern ganz simpel „eine Art, sich zu geben“, verriet Mühlmann der taz-Hamburg. Das allerdings hat der Autor mit den Bands gemeinsam, die er beschreibt: Er bedient sich historisch aufgeladener Begriffe, ohne damit eine wirkliche Aussage verbinden zu wollen. Diese Effekthascherei ist wohl die verbindlichste Gemeinsamkeit, die man den diversen Bands nachsagen kann, die Mühlmann unter der Kategorie Neue Deutsche Härte rubriziert – bewusst rechts ist praktisch keine davon, mehr oder weniger bewusst bedienen sie sich aber rechts konnotierter Codes. So ersetzt Joachim Witt auf seinem Album alle englischen Begriffe wie „Percussion“ durch deutsche Entsprechungen wie „Schlagwerkzeug“ – ein Sprachpurismus, der zwar nicht reaktionär sein muss, aber bisher allenfalls eingefleischten Rechtsrockern eigen war.

Man kann die Gedankenlosigkeit geschmacklos finden, mit der Joachim Witt oder Rammstein mit schweren Zeichen spielen – dass hier der unbelehrbare Deutsche sein hässliches Haupt hebt, kann man nicht behaupten. Eher ist es die Rückkehr des Verdrängten als Travestie, vielleicht auch ein Reflex der Banalisierung des Bösen durch Hollywood. Ein Schuss ironischer Selbstethnisierung ist schließlich stets mit im Spiel: Schaut her, wir sind die, vor denen ihr uns immer gewarnt habt. Die Kritik am ästhetischen Ärgernis allerdings setzt naiv Form und Inhalt gleich – schließt von Uniformjacken auf die Geisteshaltung – und wirkt in postmodernen Zeiten seltsam antiquiert. Bedenklich ist schließlich weniger, dass manche Bands mit belasteter Symbolik hantieren – bedenkenswert ist allenfalls, das sie damit mehr Platten verkaufen. Die Ambivalenz, die Rammstein oder Joachim Witt in Kauf nehmen, hätte noch vor zehn Jahren den sicheren kommerziellen Tod bedeutet – heute ist sie das Ticket zum Kassenerfolg.

Viel interessanter als das ständige „Wie haben sie es denn nun gemeint“ ist daher die Frage, wie das Teutonen-Brimborium denn letzteigentlich verstanden wird. Ist das wirklich der Soundtrack einer Jugend, deren Generationserlebnis nicht mehr die Verhinderung eines Castor-Transports, sondern die Verhinderung eines Asylbewerberheims ist? Das wird zumindest am Rande aus Mühlmanns Buch deutlich: So wenig wie die Produktion folgt auch die Rezeption der Neuen Deutschen Härte einem klaren Rechts-Links-Schema – ein Rammstein-Fan muss es nicht als Widerspruch empfinden, Sabrina-Setlur-Poster aus der Bravo zu sammeln. Auch der Frankfurter Rap-Pate Moses P. soll schließlich schon im Onkelz-T-Shirt gesichtet worden sein: Gelobt sei, was provoziert. Und das ist etwas, das schon lange keiner „linken“ Band in Deutschland mehr gelungen ist. Wenn Campino von den Toten Hosen durch die Talkshows tingelt und als Sozialarbeiter der Nation vor den Böhsen Onkelz warnt, ist es nicht schwer zu erraten, wem die Rebellenpose eher abgenommen wird. So können ausgerechnet die Böhsen Onkelz noch einigermaßen glaubhaft so tun, als stünden sie außerhalb des großen Big-Brother-Verona-Feldbusch-Stefan-Raab-Spaßuniversums, das nur noch Comedy-Claqueure kennt. Die Fotos im Booklet der CD zeigen fröhliche Onkelz im Puff-Ambiente – eine Referenz an das Prolo-Zuhälter-Milieu, dem die Band entstammt. Aber auch das hat längst sei- nen Platz gefunden im neuen Deutschland: auf RTL 2. Und so kreisen die Onkelz doch am Rand des Spaßuniversums.