Sodom in Rom

Und sie bewegen sich doch: Gay Pride im Heiligen Jahr in der Heiligen Stadt

aus RomMICHAEL BRAUN

Tag für Tag läuft dieses Jahr in Rom das gleiche Programm: Tausende Pilger machen dem Papst die Aufwartung und drängeln durch die Heilige Pforte, um Ablass für ihre echten oder eingebildeten Sünden zu erlangen. Anfang Juli droht eine rüde Unterbrechung. Gleich 300.000 Besucher haben sich angekündigt, Besucher allerdings, die schon vorweg ihren Willen kundtun, hartnäckig weiter zu sündigen, und auch noch stolz darauf sind. Ausgerechnet im Heiligen Jahr wollen Schwule und Lesben mit ihrem „World Pride“-Spektakel die Heilige Stadt zum Sündenbabel machen. Sodom in Rom: schrille Tunten zuhauf, muskulöse Kerls im knappen Tanga, Lesben als Nonnen aufgemacht, Schwule, die sich in garstigen Reden über den homophoben Papst ergehen oder gar daran erinnern, dass der Maler der Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle einer der Ihren war.

Bekannt ist das Vorhaben seit 1996. Zunächst gab es nur Zuspruch: Italiens Ministerin für Gesellschaftliche Solidarität und Roms Bürgermeister Francesco Rutelli übernahmen die Schirmherrschaft über das achttägige Happening. Die katholische Kirche hielt sich vornehm zurück.

Kaum aber war das Heilige Jahr eingeläutet, da war es auch vorbei mit der Gelassenheit. Diverse faschistische Gruppen rühren seit Januar die Trommel gegen „Gay Pride“, und die postfaschistische Alleanza Nazionale machte den World Pride flugs zum Thema im Frühjahrs-Regionalwahlkampf: Das „Perversen-Treffen“ gehöre verboten. Diesen Ball ließ sich der Klerus gerne zuspielen. Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano wurde flugs bei der Regierung vorstellig, wünschte eine Absage des World Pride im Namen des „gesunden Menschenverstands“, und das Bischofsblatt Avvenire wetterte gegen das „Pseudorecht der Homosexuellen, ihre Andersartigkeit zur Schau zu stellen“.

Gewiss, Italien hat eine Mitte-links-Regierung, doch die Kurie konnte sich Hoffnung machen. Hatte nicht Bürgermeister Rutelli im Januar 1998 anlässlich einer Papstvisite auf dem Kapitol in der ganzen Stadt Ausstellungsplakate eines Modigliani-Akts verhängen lassen, um dem Heiligen Vater den ärgerlichen Anblick nackten Fleisches zu ersparen? War die Regierungskoalition nicht beim Gesetz über die Finanzierung der (katholischen) Privatschulen genauso eingeknickt wie bei der Regelung der künstlichen Befruchtung?

Mitte Mai schien die Kampagne gegen die Schwulen erfolgreich. Ministerpräsident Giuliano Amato verkündete im Parlament, das World-Pride-Treffen sei schlicht „inopportun“. Einem Verbot stehe entgegen, dass Italien „leider eine Verfassung hat“, die nun mal die Meinungsfreiheit vorsieht. Doch die Regierung werde darauf hinarbeiten, wenigstens die Großkundgebung am 8. Juli „von der Stadt zu isolieren“ – sprich, den ebenfalls geplanten Marsch zu verhindern und die Schwulen in ein symbolisches Ghetto fernab vom Stadtzentrum zu sperren. Ein paar Tage später entzog Bürgermeister Rutelli dem World Pride die Schirmherrschaft.

„Leider“ aber hat Italien nicht nur eine Verfassung, die auch der Kirche abverlangt, mit Provokationen zu leben, „leider“ auch wurde es nun den Linksparteien in wie außerhalb der Koalition zu bunt. Bei einem Verbot des World Pride werde er sofort zurücktreten, verkündete der grüne Landwirtschaftsminister Alfonso Pecoraro Scanio und outete sich gleich noch als bisexuell. Abgeordnete der Grünen, der Kommunisten, der Linksdemokraten gründeten ein Komitee, um die ungehinderte Durchführung des Gay-Marschs zu garantieren; Linksdemokraten-Chef Walter Veltroni stauchte Amato am Telefon zusammen. Da halfen auch die Proteste der christdemokratischen CCD nichts mehr, die letzten Donnerstag die Laufkundschaft mit einer originellen Form des Widerstands bei Laune hielt. Bilder von Schwulendemos aus San Francisco gab's da auf Video-Großbildwand zu sehn – just die Szenen, die man doch der Heiligen Stadt ersparen wollte.

Umsonst. Seit Freitag ist es amtlich: World Pride wird steigen, vom 1. bis 9. Juli, mit Großdemo bis ins Zentrum Roms, mit schwuler Modenschau am Circus Maximus, mit dem Abschlusskonzert, für das sich Grace Jones, Gloria Gaynor, die Village People angekündigt haben. Noch aber ist für die Kirche nicht alle Hoffnung verloren. „Wir müssen das langfristig sehen. Die werden sich ja nicht fortpflanzen“, tröstet sich Alessandro Maggiolini, Bischof von Como. Das allerdings sollte auch für Priester und Bischöfe gelten. Die Schwulen dürfen gleichfalls hoffen.