Filme schreiben oder Bücher filmen

Der belgische Autor und Filmemacher Jean-Philippe Toussaint liebt TV-Sport, isst gern Aspik und schreibt köstliche Bücher. Jetzt ist er in Berlin

Was der belgische Schriftsteller und Filmregisseur Jean-Philippe Toussaint geschafft hat, ist nicht jedermanns Sache. Er hat aufgehört, Fernsehen zu gucken. Mit einer Ausnahme: die Sportsendungen. „Darauf kann ich nicht verzichten“, gab er sich in einem Interview mit der Zeitung Libération geschlagen. Morgen könnte es also knapp werden. Um 19 Uhr wird Toussaint im Arsenal seinen neuen Film „La patinoire“ („Die Eisbahn“) vorstellen. Um 20.45 Uhr aber geht es mit dem Euro 2000 los, und zwar mit „Les Diables Rouges“ – so der Spitzname der belgischen Nationalelf.

Dass es für Fragen nicht allzu viel Zeit geben wird, ist nicht so schlimm. „La patinoire“ erzählt von den Dreharbeiten eines Filmes, greift also auf einen zigmal verfilmten Plot zurück. Dass das Filmteam dabei auf Schlittschuhen arbeiten muss, lässt schon ahnen, wohin der Film gleitet. Ein kinematografischer Ausrutscher ist „La patinoire“ dennoch nicht. Die burleske Komik funktioniert, und der hinreißende Situationswitz lässt an die Filme von Jacques Tati denken.

Zum Film kam Toussaint, als er seinen ersten Roman „La salle de bain“ („Das Badezimmer“) für die Leinwand adaptierte, mit dem er 1985 schlagartig zu literarischen Ruhm gelangt war. Für „Monsieur“ (1990), eine Adaptation seines gleichnamigen zweiten Romans, übernahm er selbst die Regie. „La patinoire“ dagegen basiert auf einem eigenen Drehbuch, das Toussaint 1993 während eines DAAD-Aufenthalts in Berlin schrieb. Eine doppelte Tätigkeit, die Toussaint sehr pragmatisch betrachtet: „Wenn ich vom Schreiben die Nase voll habe, denke ich daran, einen Film zu machen. Und umgekehrt.“

Was Toussaint zuletzt geschrieben hat, liegt allerdings nur auf Französisch vor. Bei Suhrkamp wird die Übersetzung seines letzten Romans „La télévision“ erst für April 2001 angekündigt. Wer fernsehsüchtig ist, sollte schnell Französisch lernen und das Buch sofort lesen. Dort erzählt ein Ich-Erzähler auf wunderbare Art, wie er aufgehört hat, Fernsehen zu gucken, und wie er mit den Entziehungserscheinungen klarkommt (oder auch nicht). Als Kulisse einer solchen, recht gewagten Entziehungskur dient die Stadt Berlin in Sommer, die dem Erzähler mit ihren Schwimmbädern, Parks und Museen unerwartete Kompensationsmöglichkeiten anbietet.

Um Berlin geht es auch in „Autoportrait (à l'étranger)“, seinem letzten Buch, das Toussaint heute Abend im Gespräch mit György Konrad in der Akademie der Künste vorstellen wird. In „Autoportrait“ zeichnete Toussaint in der Form kurzer Prosatexte die weltbürgerlichen Erfahrungen eines international erfolgreichen, Jetset-geprüften Schriftstellers („La salle de bain“ wurde bis heute in zwanzig Sprachen übersetzt) auf. Dabei kommt die „Mach's rein“-Haupstadt allerdings nicht so gut weg.

„Die Berliner stehen in dem Ruf, trocken, ungeduldig und unfreundlich zu sein“, schreibt Toussaint, und prototypisch für diese diagnostizierte Wesensart der Berliner steht eine junge, „böse und korpulente“ Wurstverkäuferin, die dem Erzähler eine „wirklich hauchdünne“ Scheibe von Aspik schneidet. So dünn, dass „man mit dieser Scheibe Gelee einen Reisepass einschweißen oder seine Brille putzen könnte“. Aber Toussaint lässt nicht nach. „Dicker!“, befiehlt er trocken und guckt der Verkäuferin dabei bösartig in die Augen. Und es klappt. Die Verkäuferin kommt ins Schwitzen, und nachdem sie fast zwei Seiten lang den minutiösen, nahezu sadistischen Anweisungen Toussaints folgt, gelingt ihr das Schneiden der richtigen Dicke.

Aber was das Schneiden betrifft, leidet Toussaint vielleicht an einem Trauma. Auf einer Lesereise in Japan wünscht er in die Fischschneidekunst eingeweiht zu werden, worauf ihn sein Begleiter vom Shueisha-Verlag in die Küche eines typischen Sushi-Restaurants führt. Toussaint müht sich redlich, am Ende aber muss der japanische Koch dennoch vorschlagen, den von Toussaint geschnittenen Fisch entweder zu grillen oder zu fritieren.

YVES ROSSET

Jean-Pierre Toussaint liest heute Abend um 20 Uhr in der Akademie der Künste, Tiergarten. Im Arsenal, Potsdamer Platz, laufen heute abend um 19.30 Uhr „Monsieur“ und morgen um 19 Uhr „La patinoire“. Der Roman „La télévision“ ist bei Les Editions de Minuit erschienen