CSD im Ausverkauf?

Falsch ist, dass der CSD alle Lesben und Schwulen vertritt. Kritik an Beliebigkeit und Kommerzialisierung  ■ Von Jakob Michelsen

In einer Woche ist es wieder soweit: Zehntausende Lesben und Schwule ziehen mit Regenbogen und Musik durch die Innenstadt, begrüßt von „Botschaftern“ wie CDU-Fraktionschef Ole von Beust. Der veranstaltende Verein „CSD Hamburg e.V.“ wird verkünden, alle, die da laufen, wünschten sich gleichberechtiges Totschießen bei der Bundeswehr und staatliche Privilegierung der lebenslangen Zweierbeziehung (vulgo Homo-Ehe). Dafür fehlt bei den offiziellen Forderungen die nach politischem Asyl für Flüchtlinge, die in ihrer Heimat wegen Homosexualität verfolgt werden. „Vergessen“, entschuldigt sich der CSD-Vereinsvorstand. Der Wunsch, die Tourismuszentrale möge um Schwule und Lesben werben, wurde bedacht – soviel zu den Prioritäten.

Viele Lesben und Schwulen sind zornig. Insbesondere von Beust stößt als CSD-Grußonkel auf Protest, hatte er doch kürzlich Räumung und Abriss der Roten Flora gefordert. Gerade hier finden häufig lesbisch-schwule Veranstaltungen statt. Mehrere Gruppen erklärten von Beust „als CSD-Aushängeschild für untragbar“ und kritisierten „die Tendenz zur inhaltlichen Beliebigkeit und zur Durchkommerzialisierung“.

In der Tat: Seit der Hamburger CSD ein professionalisiertes Groß-Event ist, fragen sich alle Lesben und Schwule, die unter Emanzipation etwas anderes verstehen als den Yuppie-Integrationismus von LSVD und Co., alljährlich: Gegenveranstaltungen organisieren? Oder Mitmachen mit eigenen Akzenten? Oder mitfeiern, da die rudimentären politischen Inhalte den meisten schnurz sind?

Letzteres wäre leichter, wenn das Ereignis ehrlicherweise „Big Party“, „Werbefläche“ oder „999 Luftballons“ hieße. Aber es heißt immer noch „Christopher Street Day“ und bezieht sich damit auf einen Akt militanten Widerstandes gegen Polizeiwillkür anno 1969.

Und dann ist da die Kommerzialisierung: Ursprünglich sollte RTL 2 live berichten; das geschieht nur deshalb nicht, weil die Kölner absagten. Wer an der Parade mit einem Wagen teilnehmen will, muss zahle. Für einen LKW erhebt der Verein zwischen 100 Mark für nichtkommerzielle und 250 Mark für kommerzielle Institutionen, bei Musik kommen 185 Mark GEMA-Umlage sowie Miet- und Materialkosten dazu. „SponsorInnen suchen“, empfehlen die VeranstalterInnen. Die GeldgeberInnen dürfen allerdings „nichts mit Internet zu tun“ haben, heißt es im Anschreiben zum Anmeldeformular. Denn mit dem Hauptsponsor, der Internetfirma Eurogay, „wurde Exklusivität vereinbart“. Da auch gay business noch immer überwiegend männlich ist, beschränkt dies insbesondere die Sichtbarkeit von Lesben auf der Parade. Der Lesbenverein Intervention bekam auf 80 Briefe an potenzielle SponsorInnen ausschließlich Absagen, berichtet Vereinssprecherin Bea Trampenau.

CSD-Pressesprecher Peter Langanka begründet die hohen Gebühren mit gestiegenen Kosten; eine Event- und eine Fundraising-Agentur, ein privater Wachdienst für das Straßenfest müssten schließlich bezahlt werden. Zu Ole von Beust sagt Langanka, der Vereinsvorstand treffe „keine politische Auswahl für oder gegen jemanden“.

Die Behauptung, neutral eine imaginäre Gesamt-Community zu vertreten, ist Propaganda oder zumindest Illusion. Die Kommerzialisierung sorgt für Auswahl nach Geldbeutel, und inhaltliche Positionen jenseits des Mainstreams sind nicht vorgesehen. Sie werden sich auf der Parade vermutlich dennoch bemerkbar machen; für nächstes Jahr aber sollte längerfristig über Alternativstrukturen nachgedacht werden.