DIE CHILENISCHEN MILITÄRS MACHEN NUR SCHEINBAR ZUGESTÄNDNISSE
: Eine historische Perfidie

Auf den ersten Blick ist es ein historisches Dokument, das der chilenische Runde Tisch zum Umgang mit ungelösten Menschenrechtsfragen da verabschiedet hat. Immerhin erklären sich Chiles Militärs darin erstmals bereit, den Verbleib der unter der Diktatur des Generals Augusto Pinochet „Verschwundenen“ aufzuklären. Für die Angehörigen bedeutet das, endlich mit Gewissheit sagen zu können, was sie bis heute nur vermuten müssen. Es bedeutet, die Toten begraben zu können.

Auf den zweiten Blick aber erscheint das Dokument als eine recht perfide Strategie des Militärs, um als Institution weiterhin jede Verantwortung für die Geschehnisse abzulehnen. Es ist daher kein Wunder, dass die wichtigsten Organisationen der Angehörigen das Abkommen ablehnen. Gerade weil das Dokument als historischer Kompromiss Chiles zur Vergangenheitsbewältigung daherkommt, drohen diejenigen, die weiterhin auf einer Bestrafung der Täter bestehen, erneut als ewige Störenfriede und Quertreiber an den Rand gedrängt zu werden.

In dieser Rolle waren sie, bis Pinochet im Oktober 1998 in London verhaftet wurde. Die Reaktionen im Ausland veränderten jedoch auch die politische Situation in Chile. Das Militär geriet politisch in eine ungewohnte Defensive. Die jetzige Einigung mit der – zumal sozialistischen – Regierung rehabilitiert die Institution in einer Weise, auf die sie kaum hoffen durfte. Ausdrücklich hält das Papier fest, dass es über den Putsch gegen den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende vom 11. September 1973 unterschiedliche Meinungen geben könne – nur die von Staatsbediensteten zur Zeit der Militärherrschaft begangenen Menschenrechtsverletzungen seien zu verurteilen. Diese Lesart belässt den Militärs ihre historische Selbsteinschätzung als Bewahrer Chiles vor dem Kommunismus – wenngleich einige dabei wohl über die Stränge geschlagen haben. Vor diesem Hintergrund schwindet sogar der Wert eines womöglich noch zu führenden Verfahrens gegen Pinochet. Der alte Mann hat ausgedient – das Militär macht weiter. BERND PICKERT