Teils handgemacht

Die Schauspielschule „Ernst Busch“ stellte ihre Abteilung Puppenspielkunst in der Schaubude vor. Einmal mehr zeigte sich, dass Puppentheater längst alles andere als Kinder- und Kasperletheater ist

von HARTMUT KRUG

Man sieht nur Hände, nichts als Hände. Ein Wald von Händen wächst hinter dem Vorhang hervor, der mitten durch das Foyer der Schaubude gezogen wurde. Die Studenten des ersten Studienjahres der Abteilung Puppenspielkunst der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin demonstrieren, was sie im Fach Puppenführungstechnik an Handfertigkeit gelernt haben. Sie demonstrieren das nur mit ihren leeren, lebendigen Händen, ganz ohne eine Puppe darin. Die Hände selbst sind die Puppen: Sie können atmen, wachsen, sich in Pflanzen, Tiere, Blumen, Menschen verwandeln, können Leidenschaften ausdrücken oder Späße machen.

Nachdem man eine Stunde Ausbildungsdemonstrationen der Puppenspielstudenten, in der Mehrzahl Studentinnen, hinter sich hat, vermisst man zwar die Puppen nicht, wundert sich aber doch über deren Abwesenheit. Was Demonstrationsabsicht war: Denn das Studium des Puppenspiels umfasst weit mehr als Puppenbasteln und Puppenbewegen, oder, da alles zur Puppe werden kann: Im Studium geht es nicht nur um Objekt- und Materialtheater, sondern auch um das schauspielerische Subjekt.

Seit 1971 gibt es die erste deutsche Ausbildungseinrichtung für Puppenspielkunst in Berlin, seit 1981 ist sie ein Fachbereich, seit 1992 eine Abteilung der Hochschule für Schauspielkunst. Das Studium dauert vier Jahre, von jährlich 40 bis 80 Bewerbern werden etwa ein Dutzend immatrikuliert. Die lernen nun nicht nur die Animation der Grundfigurenarten, als da sind Marionette, Stabpuppe und Handpuppe, sondern auch ganz normales Schauspiel: also Stimmbildung und Verslehre, darstellendes Spiel, Musik und Fechten. Dazu kommt die Theorie von Puppen- und Schauspiel, von Theater- und Kulturgeschichte. Im Laufe des Studiums muss man drei Produktionen, teils frei, teils als Ensemblearbeit, vorzeigen. Das Studium ist projektorientiert.

Ganz bewusst vermittelt das Studium den Studenten die Fähigkeit, gleichermaßen als Schauspieler wie als Puppenspieler zu arbeiten. Nicht nur, weil der sichtbar mitspielende Puppenspieler im offenen Spiel des modernen Figurentheaters längst selbstverständlich ist, sondern weil die Studenten beide kommunikative Aktionen beherrschen sollen. Wer fremde Körper animieren, also beleben will, der muss seinen eigenen erfahren und erprobt haben. So zeichnet die Puppenspielstudenten der Ernst-Busch-Schule die Fähigkeit aus, auch „richtig“ schauspielern zu können.

Drei Tage lang stellten sich die Studenten der Abteilung Puppenspielkunst mit einem umfänglichen Programm vor. Vor und hinter weißer Leinwand präsentierte sich Inka Arlt (drittes Studienjahr) kahlköpfig und barbusig mit „Die gelbe Tapete – die meisten Frauen kriechen nicht am Tage“. Das ist eine skurrile Geschichte über eine „psychisch gestörte“ Frau mit übersteigerter (Selbst-)Wahrnehmung. Erzählt wird das ganz allein von der Schauspielerin, mit ihrer Figur als Schattenriss, mit live bearbeiteten Overheadprojektionen und mit projizierten altertümlichen Oblaten.

Richtige Puppen aber gab es schließlich doch zu sehen: Evelyn Arndt setzte mit Carola Pander in ihrem freien Diplomprojekt „Heimkinderphantasien HKP“ mit vollem Bedacht die üblichen, scheußlichen Puppen aus der Spielwarenproduktion ein. Die sind schwerfällig und grob und müssen ins Heim. Wie zwei Doktorinnen Frankenstein agieren die weiß bekittelten Spielerinnen, wenn sie im Keller Operationen mit Puppenmaterial am „idealen Kind“ vornehmen.

Produktionen wie diese zeigen, dass Puppentheater in Deutschland völlig zu Unrecht immer noch als Kindersache angesehen oder abgetan wird. Zwar hat Silvia Brendenal, engagierte Leiterin der Schaubude, des zentralen Berliner Spielorts für Puppentheater, die Auslastung ihres Theaters im Abendspielplan für Erwachsene enorm verbessern können, aber die falschen Vorbehalte beim breiten Publikum leben leider weiter.