die stimme der kritik
: Betr. Geheime Atomdaten in Los Alamos

Bananen zu Chili-Schoten!

Jeder kann mal was verlieren: ein Fußballspiel, die Contenance, zu viele Worte – oder zwei kleine Festplatten mit geheimen Daten. Die waren im Mai aus der US-Atomanlage Los Alamos verschwunden. Schon die Existenz solcher Geräte beeindruckt: An einen Laptop angeschlossen, sollten die Festplatten genaue Anleitungen geben, wie US-amerikanische, russische und andere Atomsprengköpfe zu entschärfen seien. („007, seien Sie vorsichtig!“ „Keine Angst, Süße, ich habe meine Festplatte dabei.“)

Und dann: verschwunden, verfutzelt, verbimst, weg. Wer kleine Kinder hat, weiß, wie so was ist: Plötzlich sind wichtige Dinge einfach nicht mehr da, um erst nach geraumer Zeit unter freudigem Glucksen des Anderthalbjährigen anderswo wieder aufzutauchen. So war es auch in Los Alamos: Hinter einem Kopiergerät im Hochsicherheitstrakt der Anlage seien die Festplatten am Freitag gefunden worden, hieß es. In einem Gebäudeteil, der mehrfach gründlich durchsucht worden war.

Kann denn das sein? Es kann. In einem zwischen zufällig angeordneten Papierstapeln entstandenen Hohlraum hatte die taz-Redakteurin für Osteuropa eine Banane auf ihrem Schreibtisch liegen (von ihr unbemerkt, von den Kollegen begeistert immer wieder heimlich nachgeprüft) – und zwar über viele Monate. Die Frucht schrumpfte langsam auf die Größe einer getrockneten Chili-Schote, bis eine gezielte Denunziation dem weiteren Verfall ein Ende bereitete.

Das Beispiel zeigt: Alle Theorien, im Fall Los Alamos seien Geheimdienste am Werk und die Festplatten seien in der Zwischenzeit außerhalb des Gebäudes gewesen, sind nicht nur böswillig, sondern lebensfremd. Und Disziplinarmaßnahmen gegen die Mitarbeiter sind gemein. Verschusseln ist menschlich! Zumal Festplatten sooo klein sind und in Los Alamos auch noch ein Buschbrand Anfang Mai für Durcheinander sorgte – was im richtigen Leben, vulgo auf dem Schreibtisch der Osteuropa-Kollegin, gar nicht nötig gewesen ist.

Zugegeben: Die Diskussion um den geplanten US-amerikanischen Raketenschutzschild zeigt sich nach Los Alamos in ganz anderem Licht. Doch im Übrigen: Was heißt hier Sicherheitsrisiko? Was ist schon dabei, wenn irgendjemand jetzt heimlich eine Atombombe entschärfen kann?

BERND PICKERT