Weniger Schurken

USA streichen Iran, Libyen und Nordkorea trotz „anhaltender Besorgnis“ von ihrer offiziösen Feindbildliste. Eine Definition haben sie nie vorgelegt

GENF taz ■ Iran, Libyen und Nordkorea gelten den USA künftig nicht mehr als „Schurkenstaaten“. Das verkündete Außenministerin Madeleine Albright im US-Rundfunk. Allerdings bleibe Washington „besorgt darüber, dass die drei Länder weiterhin den internationalen Terrorismus fördern, Raketenprogramme entwickeln und danach trachten, das internationale Zusammenleben zu stören“.

Die Begründung für die mildere Einstufung durch die einzig verbliebene Supermacht ist so unklar, wie die von Washington seit rund 20 Jahren geführte „Schurkenstaaten“-Liste willkürlich ist. Erstmals öffentlich angewendet wurde der Begriff „rogue state“ Ende der 70er-Jahre von der Zeitung Wall Street Journal, die damit den US-Bundesstaat Ohio wegen seiner Umweltpolitik geißelte. Nach seiner Wahl im Jahr 1980 benutzte Präsident Ronald Reagan die Bezeichnung zunächst für Länder mit repressiven Regimes – allerdings nur für solche, die damals im gegnerischen ideologischen Lager standen und/oder für die USA keine Bedeutung hatten.

Nicht nur Reagans republikanischer Nachfolger George Bush, auch der 1992 gewählte Demokrat Bill Clinton übernahm den Begriff – allerdings für Staaten, die sich aus Sicht Washingtons „international unverantwortlich verhalten“. Außenministerin Albright erklärte „den Kampf gegen die Schurkenstaaten“ im September 1997 zu „einer der größten Herausforderungen unserer Zeit, weil es der einzige Existenzzweck dieser Staaten ist, unser System zu zerstören“.

Eine offizielle „Schurkenstaaten“-Liste hat Washington in den letzten 20 Jahren nie vorgelegt. Auf Grund verschiedener offiziöser Äußerungen und Dokumente ist davon auszugehen, dass bis zu 20 verschiedene Staaten bislang die Ehre hatten bzw. noch haben, auf dieser Liste geführt zu werden. Darunter neben den drei seit gestern milder eingestuften Ländern der Irak, Syrien, Pakistan, Sudan, Afghanistan, Kuba und Indien. Auch eine präzise Definition des Begriffs hat Washington bis heute nicht vorgelegt.

Selbst der Bericht einer Regierungskommission unter Vorsitz des ehemaligen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, mit dem die „Schurkenstaaten“-Theorie 1998 immerhin zur offiziellen Doktrin der USA erklärt wurde, liefert weder eine Definiton noch eine Liste. Der Bericht warnt vor „Bemühungen einer Reihe offen oder potenziell feindlicher Staaten, sich Raketen mit biologischen oder nuklearen Sprengköpfen zu beschaffen“. Die daraus abgeleitete „wachsende Bedrohung der USA und ihrer Verbündeten“ wurde zur Begründung für die aktuellen Pläne Washingtons für ein nationales Raketenabwehrsystem.

ANDREAS ZUMACH