Union Jack
: Der Uefa ein Schnippchen geschlagen

England disqualifiziert sich selbst

Wozu man Handys heutzutage alles gebrauchen kann, ist erstaunlich: Im Internet surfen, Wetternachrichten empfangen – sich dahinter verstecken. Diese neueste Möglichkeit entdeckte Phil Neville spät in der Nacht zum Mittwoch. Auf den 150 Metern von der Umkleidekabine des Stade du Pays von Charleroi zum Mannschaftsbus musste Englands Außenverteidiger an einer Hundertschaft Journalisten vorbei, etliche riefen seinen Namen. Aber Neville marschierte weiter, den Blick streng konzentriert auf das Handy in seiner rechten Hand gesenkt, als erfordere dies seine ganze Aufmerksamkeit. So entging er unangenehmen Fragen. Der Gewissheit entkam er nicht: England ist ausgeschieden, durch einen von ihm tapsig verschuldeten Strafstoß, zwei Minuten vor Spielende. Ioan Ganea vom VfB Stuttgart verwandelte den Elfmeter zum 3:2 für Rumänien. Ein Unentschieden hätte England zum Erreichen des Viertelfinales genügt.

England. Elfmeter. So kurz vor Schluss. Es klingt wieder einmal nach jenem herzzerreißenden Ausscheiden, auf das sich die englische Nationalelf bei internationalen Meisterschaften über Jahrzehnte so sehr spezialisiert hat. Doch davon wollte selbst Nationaltrainer Kevin Keegan nichts hören: „Dies war kein Fall von Pech“, sagte er bestimmt, „wir waren heute einfach nicht gut genug.“

Wie das Ausscheiden von Deutschland sollte die frühzeitige Abfahrt des Weltmeisters von 1966 nicht wirklich überraschen. Dass diese Ausgabe der englischen Nationalelf schlecht genug spielen kann, um in einer EM-Vorrunde hinter Portugal und Rumänien zu landen, hat sie in dem einem Dienstjahr von Keegan oft genug angedeutet. Selbst der 1:0-Sieg über die Deutschen am vergangenen Samstag, als sporthistorische Marke verkauft, war nüchtern betrachtet nicht mehr als ein glücklicher Gewinn nach mittelmäßiger Leistung. Die Vorführung gegen Rumänien war schlichtweg armselig. „Drei Tage lang“, sagte Keegan, „haben wir nach dem Deutschland-Spiel darüber gesprochen, dass wir den Ball besser passen müssen. Und dann haben wir es wieder nicht gemacht.“

„Gegen technisch starke Mannschaften haben sie Schwierigkeiten“, sagte der gelbgesperrte Rumäne Gheorghe Hagi über die Engländer. „Teams wie Deutschland liegen ihnen besser.“ Sein Grinsen schien zu sagen: Dieses Deutschland liegt allerdings den meisten Teams.

Wie die Engländer überhaupt zu zwei Toren kamen, kann nur damit erklärt werden, dass in jedem Fußballspiel etwas Unerklärbares steckt. Zwei Treffer bei nur einer wirklichen Torchance: Die nutzte Michael Owen in der 45. Minute zum 2:1. Die 1:0-Führung für Rumänien durch Cristian Chivu hatte Spielführer Alan Shearer zuvor mit einem Elfmeter ausgeglichen, bei dem Rumäniens Trainer Emerich Jenei „schon dachte, das Spiel wird nicht auf dem Platz, sondern in den hohen Gremien der Uefa entschieden: Der Elfmeter war ein Geschenk.“ Gleich von Schiebung durch den ausrichtenden Verband Uefa zu sprechen, war ein wenig übertrieben; so himmelschreiend falsch lag Schiedsrichter Urs Meier aus der Schweiz mit seiner Entscheidung nicht, für einen Tritt von Chivu, der Paul Ince an der Wade streifte, Strafstoß zu pfeifen. Aber viele Referees hätten ihn nicht gegeben.

Für England ist nun Zeit, die Realität anzuerkennen: Diese Mannschaft ist nicht so gut, wie Keegan tönte. Trotz Begabungen wie David Beckham oder Paul Scholes gibt es zu viele Schwachstellen, in erster Linie die Außenverteidiger – und nicht zuletzt der Trainer selbst. Keegans Unfähigkeit, ein funktionierendes Zusammenspiel zu organisieren, ist seit 15 Spielen sichtbar. Er werde bis zur WM 2002 weitermachen, versicherte Keegan. Dass er seinen Job bis dahin besser macht, ist unwahrscheinlich.

Am gestrigen Mittwoch um zwölf Uhr hatten sie ihre Sachen gepackt und machten sich auf die Heimreise. Mit ihnen verschwanden die raufwütigen englischen Fans, die in Charleroi und Brüssel für Sachschäden und Angst gesorgt hatten. So einfach löste sich das große Hooligan-Problem: durch einen einzigen Schuss aus elf Metern von Ioan Ganea. RONALD RENG