die stimme der kritik
: Betr.: Chronistenpflicht

Vom Elend der Nachrichten und Mitteilungen

Manchem Redakteur gräbt sich die Chronistenpflicht tief in die Stirn. Da sitzt man tagein und tagaus vor dem Bildschirm und chronistet nach bestem Wissen, bis einem ganz schwummerig wird: Das ist der Zustand, in dem Redakteure labil werden und anfangen, Agenturmeldungen und E-Mails zu lesen.

Die kubanische Botschaft etwa sendet seitenlang vorwärts weisende Interpretationen zum Fall Elián: Der Kampf für die Rückkehr des entführten Kindes war hart und umfassend. Es war höchste Zeit, dass er dringend ein Ende nahm. Und weiter: Die nun einsetzende Phase wird sowohl aufgrund ihrer Ziele als auch der Umstände unvermeidbar lang sein. Die Methoden sind diesen Merkmalen anzupassen. Aus Tausenden von Meinungen, die uns systematisch Tag für Tag zugehen, wissen wir, wie unsere Landsleute darüber denken. Viva Cuba – Fidel liebt euch doch alle.

Die besten Nachrichten aber fehlen immer. Etwa diese: Beim Versuch, einen Kampfhund der Rasse Staffordshire-Terrier einzuschläfern, ist gestern der Literaturkritiker Hellmuth Karasek in die Nase gebissen worden. Der bekannte Journalist und Autor hatte dem Hund mehrere Stunden lang aus seinen Texten vorgelesen. Mit letzter Kraft schnappte der Hund zu.

Leider nur geträumt. Stattdessen vermeldet die Deutsche Presseagentur gewohnt stil- und grammatiksicher den Zustand Johannes Pauls II.: Der Papst erholt sich seit Montag von seinem 14-Stunden-Arbeitstag in den Bergen im italienischen Aostatal, wo er schon seit Jahren ausspannt. Papst müsste man sein.

Wegweisend auch die Nachrichtenagentur AP, die einen Bericht zu Jassir Arafat anmoderiert: Rauhes Wasser und Klippen im Friedensprozess bedrohen das Lebenswerk des alten Kämpen – Der Symbolgestalt Palästinas droht bei zu viel Nachgiebigkeit das Kainsmal des Verräters. Felsbrocken im Stehsatz umspülen den Tickerdienst . . .

Unterdessen warten wir wie vor 25 Jahren auf ein Ende der Lorenz-Entführung, während in Österreich (Österreich!!!) eine Radfahrerin eine Kuh gerammt hat, in Pamplona Stiere Fußgänger über den Haufen rennen und in Markkleeberg bei Leipzig ein Kampfhund ein Pferd samt Reiterin angefallen hat. Die Farce wiederholt sich als dpa-Geschichte.

BERND PICKERT