Der Wille zum Wachsen

Seit 1994 systematisiert Barbara Nemitz in Weimar Verästelungen der Plant-Art. Jüngster Spross: eine Publikation, die Gartenkunst von der Land-Art bis zu konzeptuellen Öko-Projekten dokumentiert

von SUSANNE ALTMANN

Es wächst und wuchert zunehmend. Das gilt im Allgemeinen für die üppige Jahreszeit und im Besonderen für gärtnernde Kunst, beileibe nicht zu verwechseln mit Gartenkunst. Zwischen Manifesta und documenta wird gepflanzt, gejätet und gegossen: Seit einigen Jahren gedeihen grünende Werke und ebenso Publikationen darüber. Eine Schlüsselfigur dieser Szene finden wir mitten in der weimarischen Villa Haar. Barbara Nemitz begann hier 1994 als Professorin für Freie Kunst und als Künstlerin die Verästelungen der Plant-Art zu systematisieren. Es geht ihr, wohlgemerkt, ausschließlich um lebende Pflanzen. Die Herrin des Chlorophylls überschaut von dem noblen Ansitz aus nicht allein den Ilmpark, sondern dazu die Künstlergärten der Bauhaus-Universität. Die kiesbestreute Terrasse am Haus samt Einfriedung mit Gartenmarkt-Wacholder ist übrigens ein Werk des Luxemburgers Luc Wolff und sollte nicht betreten werden. Wolff versteht das eingehegte Terrain als Zeichen und sorgt sich per Kordelabsperrung um dessen Bewahrung. Vorsicht, Kunst?

Auch Daniel Spoerris Gras-Sofas auf der „Liegewiese“ wirken zwar unwiderstehlich einladend, drauflegen darf man sich aber nicht. Die Hemmschwelle gegenüber dem musealen Werkbegriff reduziert sich im Grünen merklich – dennoch sind derlei Verbote hier eher die Ausnahme. Die meisten Arbeiten verbergen sich im Gesträuch und Geäst des halbwilden Gartens, so Cosima von Bonins Pflanzung „Mrs. Littlewood“, und verzichten auf große Gesten, wie etwa Peter Hutchinsons „Krokuslinie“, Brigitte Raabes „Duftveilchen“ oder Till Krauses bemooster Baum „Mygindischer Garten – Außenstelle Pflanzenwuchs“.

Besucher begeben sich, entweder mit kundiger Führung oder auf eigene Faust mit Karte, auf die Suche. Bisweilen, wie im Falle von Michael Stephans „Alles sieht bläulich aus – die blaue Blume“, ist scheinbar nichts zu finden. Es sei denn, so die Erläuterung, man verstünde sich auf die Einnahme eines homöopathischen Präparates, das die annoncierte Blausicht auf Waldlilien verursacht. Eine solch „schwache Dosis Kunst“ wirkt angenehm. Nemitz unterstreicht: „Wer Spektakuläres erwartet, muss zur Gartenschau gehen!“

Was hier in Weimar angebaut und von einem einzigartigen Gärtnerteam (Cosima von Bonin verewigte die Herren in ihrer Edition) gehegt wird, ist nur die Spitze des Komposthaufens! Die über 20 bislang realisierten Gestaltungen stehen exemplarisch für das Gesamtprojekt, das sich rhizomartig aus Führungen, einschlägigen Vorträgen, der Zeitschrift „Wachsen“, mittlerweile zwei Editionen und einem umfangreichen Archiv zusammensetzt. In einem virtuellen Herbarium werden unablässig und unter Mithilfe weltweiter Zuträger Informationen über den künstlerischen Umgang mit Vegetation gesammelt. Von dieser Einrichtung profitierte übrigens Paolo Bianchi ganz entschieden, als er 1999 die beiden Grün-Specials des Kunstforum International herausgab.

In diesem Jahr warten die Künstlergärten nun mit einer weiteren Veröffentlichung auf: im Hatje Cantz Verlag erschien der Band „trans|plant. Living Vegetation in Contemporary Art“. Barbara Nemitz konzipierte „trans|plant“ als neuen Spross ihrer Gartenidee, und so sind in dem Werk, alphabetisch von Acconci bis Weinberger, mehr als 70 KünstlerInnen mit grünem Daumen dokumentiert, in Wort und Bild. Ein Großteil von ihnen, wie Laura Stein (USA), hat in Weimar bereits selbst die Harke in der Hand gehabt. Eines ihrer Tomatenmonster prangt auf dem Cover des Buches. Stein züchtet Gemüsehybriden in Vakuumförmchen und untersucht den „Willen zum Wachsen“ unter restriktiven Bedingungen. Ihre Landsfrau Samm Kunce bepflanzt im Freien diskrete Hügel; im Buch werden Innenraumarbeiten vorgestellt, die künstliche Paradiese mit Formen des Minimalismus kombinieren – Sperrholzkisten a la Donald Judd bergen ins Kraut geschossene Salatköpfe. Kunce wuchs in der Nähe von Disneyland auf und erklärt die Spannung zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit, die sie umtreibt, mit ihrer Herkunft.

Die Motive für die Beschäftigung mit Vegetation mögen weit gefächert sein – ein gewisses romantisches Unbehagen an der Zivilisation färbt sie alle. Ganz besonders davon geprägt sind die Aktivisten des Genres: Agnes Denes, die 1982 das legendäre New Yorker Getreidefeld installierte, Mark Dion mit seiner mobilen Version des tropischen Regenwaldes, oder Mel Chin, der in Minnesota eine Bodenreinigung durch Schwermetalle speichernde Pflanzen entwickelte. Unübersehbar stammt die Mehrzahl der kritischen Ansätze aus den USA und daher markiert die Kunstpublizistin Kim Levin im Begleitessay hier auch eine Traditionslinie. Mit den tatsächlichen Begrünungen sei die kreative Haltung des Sämanns, die Jackson Pollock vor seinen „Drip Paintings“ annahm, endlich eingelöst.

Wahre Land-Artisten beschäftigten sich freilich eher mit dem Aspekt des Sublimen und sahen ökologisch grundierte Pflanzereien nicht als Aufgabe der Kunst an. Erst in den 90er-Jahren wurde das Gärtnern absolut salonfähig. Dass dieses Phänomen ein kunstweltweites war, behandelt der Text eher am Rande und verlässt sich dabei zu Recht auf das anschließende Kompendium, das mit Henrik Häkansson, Maurizio Cattelan, Maria Nordman, Olaf Nicolai u. v. a. die europäischen Positionen nicht vernachlässigt. Ob mutmaßliche Eintagsfliegen wie Sylvie Fleurys Luxuslimousine unter Kletterrosen oder Jeff Koons Blumenhund schließlich zur Vollständigkeit beitragen, sei dahingestellt. Nicht jeder, der ein Samenkorn fallen lässt, ist ein Sämann!

Im zweiten Essay des Bandes untersucht Peter Herbstreuth diverse Unterarten kreativen Begrünens: permanente Gärten (Ian Hamilton Finlay), Monumente (Jenny Holzer) oder erotische Impulse (Teresa Murak). Merkwürdigerweise spielen in Herbstreuths historischer Einordnung lediglich abendländische Bezüge eine Rolle; der nachgewiesene immense Einfluss fernöstlicher Gartenkunst wird ausgeblendet, leider. Aber derlei Erkenntnisse stellen sich im reich bebilderten Hauptteil fast automatisch ein. In Kombination mit einem Rundgang durch die Weimarer Gefilde forstet „trans|plant“ Lücken auf und erquickt nachhaltig.

„trans|plant. Living Vegetation in Contemporary Art“, Hrsg. Barbara Nemitz. Hatje Cantz Verlag 2000, 78 DM