Babylon on Air

Von Dari bis Deutsch: Australiens multikultureller Sender SBS macht Radio und Fernsehen in mehr Sprachen als jede andere Station auf dieser Welt

aus Melbourne SVEN HANSEN

Als der 34-jährige südvietnamesische Diplomat Tuong Quang Luu nach dem Fall Saigons 1975 mit einem Bambusfloß aus seiner Heimat floh, startete zur gleichen Zeit mehrere tausend Kilometer südlich ein rundfunkpolitisches Experiment: In den australischen Metropolen Sydney und Melbourne begannen zwei Sender, täglich in acht Sprachen Programme für Einwanderer auszustrahlen.

Heute, 25 Jahre später, ist daraus der multikulturelle Rundfunk- und Fernsehsender SBS (Special Broadcasting Service) mit 700 festen Mitarbeitern hervorgegangen. Einer von ihnen ist der frühere Flüchtling Luu, seit 1989 SBS-Rundfunkdirektor. Luu hält Radio für sehr effektiv, um mit sozial isolierten Menschen zu kommunizieren, wie es Einwanderer zunächst oft sind: „Wir bringen diese Menschen in die Gesellschaft zurück.“

Das öffentlich-rechtliche SBS-Radio sendet heute von Sydney und Melbourne aus in 68 Sprachen (SBS-TV in 60) und damit in mehr Sprachen als jeder andere Sender der Welt. Im Unterschied etwa zur Deutschen Welle strahlt SBS seine Programme nur im Inland aus. denn über 40 Prozent aller Australier sind Einwanderer aus erster oder zweiter Generation. „Unser Auftrag lautet, die verschiedenen ethnischen Gruppen zu informieren, sie zu ermutigen, ihre Kultur beizubehalten, und die Australier auf diese Kultur aufmerksam zu machen“, sagt Gerda Louch, die mit vier KollegInnen das deutsche SBS-Programm bestreitet.

Landesweites Programm

Die Radioprogramme – jeweils zwei in Sydney und Melbourne und ein landesweites – sind eine Kette weitgehend selbst produzierter Fremdsprachenprogramme. So beginnt der Montag in Melbourne auf UKW 93,1 um sechs Uhr mit englischen Nachrichten, danach folgen Programme für Aborigines sowie einstündige Sendungen in den Haupteinwanderersprachen. Gesendet werden Nachrichten aus Australien, der Welt und der jeweiligen Heimat, gemischt mit Gesprächen, Sport, Musik und Informationen für die jeweilige Einwanderergruppe. In den Hauptsprachen Italienisch, Griechisch, Vietnamesisch, Arabisch, Kantonesisch und Deutsch wird mindestens täglich gesendet. Selbst Sprachen wie Dari (Afghanistan), Dänisch oder Estnisch sind immerhin mindestens einmal pro Woche zu hören.

Das aus Steuergeldern finanzierte Angebot kommt an: 2,5 der 18 Millionen Australier hören mindestens einmal wöchentlich SBS-Radio, während 5,3 Millionen SBS-TV einschalten – man erreiche rund 30 bis 70 Prozent der jeweiligen Zielgruppe, schätzt Luu.

Auch das Fernsehen sendet multilingual. Hier werden die meisten Sendungen übernommen, von der RAI aus Italien beispielsweise, vom chinesischen CCTV oder auch von der Deutsche Welle. Nur die Hauptnachrichten sowie Talk-Shows und Dokus am Abend sind Eigenproduktionen und laufen auf Englisch – präsentiert von Moderatoren, die selbst oft Einwanderer erster oder zweiter Generation sind. Ab 21 Uhr folgen Spielfilme aus aller Welt – im Original mit englischen Untertiteln. Das Programm liest sich wie ein Festivalkatalog: Innerhalb weniger Tage gab es zum Beispiel „Lola rennt“, einen Hongkonger Triadenfilm, die pakistanisch-britische Einwandererkomödie „East is East“ und ein russisches Liebesdrama. Besonderes bot SBS auch in der „Woche der nationalen Versöhnung“ mit den Aborigines Ende Mai. SBS-TV berichtete live von der Zeremonie in Sydneys Opernhaus, vom Versöhnungsmarsch und sendete etliche Dokumentarfilmen über die Situation der Ureinwohner.

SBS wird zu 90 Prozent aus dem Staatshaushalt bezahlt – zuletzt mit 93 Milionen australischen Dollar. Die große Debatte, ob das mediale Einwandererangebot so viel wert ist, hat SBS schon längst hinter sich, sagt Louch: „Inzwischen sind wir voll akzeptiert.“ Und manchmal sogar der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz Australian Broadcasting Corporation (ABC) voraus: Während der Geiselkrise im benachbarten Fidschi waren die SBS-Nachrichten die informativsten. „Wir denken eben automatisch globaler. Das ist unsere Stärke“, meint Gerda Louch.