berliner ökonomie
: Prima leben und sparen mit Abogeschenken

Die Uhr vom „Spiegel“

Als ich es das erste Mal in einer Zeitung sah, dachte ich an einen Scherz. Es war wohl der Spiegel, und es gab einen Fotoapparat. Den Spiegel las ich sowieso jeden Montag, und da boten sie einen Fotoapparat an für ein Jahresabonnement. Nicht irgendeine Beirette, sondern so ein vollautomatischer japanischer Apparat samt Batterien und einem Film.

Natürlich boten sie den nicht einfach so an, dafür, dass man abonnierte. Das durften sie nicht und das dürfen die Zeitungen heute noch nicht, wegen unlauteren Wettbewerbs. Nein, zum Anwerben neuer Leser ist immer eine Postkarte mit zwei Feldern dabei: „Ich bin der neue Abonnent“ heißt das eine Feld und das andere: „Ich habe den neuen Abonnenten geworben und bekomme das Geschenk.“ Vermutlich machte ich mich irgendwie strafbar, doch ich abonnierte den Spiegel und gab einen Freund als Werber an. Sonderbar, dass sie nie kontrollieren, ob der Werber selbst vorher überhaupt schon Abonnent war.

Sicher rechneten die Zeitungen von vornherein mit dem Betrug, dass der neue Abonnent das Geschenk selber erhält. Tatsächlich trudelte nach einigen Monaten die Kamera ein, und der Freund gab sie mir. Die Kamera war eine Olympus mit Blitz und automatischem Filmtransport, und sie funktionierte. Ich fotografierte Film um Film voll. Heute, fast 10 Jahre später, funktioniert sie immer noch wie neu.

Den Spiegel habe ich allerdings, so schnell es ging, wieder gekündigt. Nicht weil ich ihn schlecht fand, im Gegenteil. Es war aus verschiedenen Gründen dumm, ihn mit der Post zu bekommen, denn die Post kam erst nachmittags. Was jedoch noch wichtiger war: Als Abonnent bekam man kein neues Geschenk mehr. Ich weiß nicht, was sie sich denken in diesen Zeitungen. Vielleicht, dass wer einmal Abonnent ist, es immer bleibt? Diese Marketingstrategen sollten sich mal überlegen, wie viele Abos gekündigt werden, weil die Abonnenten sauer sind, dass sie diese Geschenke nun nicht mehr kriegen können.

Ich kaufte den Spiegel nach der Abokündigung also weiter am Kiosk. Es musste auch erst mal eine Frist verstreichen, ehe man wieder ein Geschenk kriegen konnte. Ich blätterte das Magazin durch, aber was sollte ich mit sechs verschiedenen Telefonkarten mit den Bildnissen der Bundespräsidenten? Mit einem Fahrradhometrainer? So ein Unsinn! Oder vielleicht ein Aktenkoffer? Da passt mir zu wenig rein.

Doch dann sah ich eine schöne, schlichte Quarzuhr von Braun mit Zeigern und Datum, und ich abonnierte neu. Pünktlich alle zwei Jahre braucht diese Uhr eine neue Batterie, ansonsten: Sie läuft und läuft und läuft heute noch, Jahre später, auf die Sekunde genau. Dann waren die Batterien der Kamera alle, und ich abonnierte den Spiegel zum dritten Mal neu und bekam noch mal die gleiche Kamera mit neuen Batterien und einem neuen Film. Man muss immer pünktlich sein Abo kündigen, das ist schon klar, sonst rechnet sich das nicht.

Mit den Freunden, die die Geschenke entgegennahmen, lief das immer auf Gegenseitigkeit. Sie gaben mir die Geschenke und ich gab ihnen ihre. Sie brachten mir die Uhr, ich brachte ihnen den Topfset für ein Abo der Freundin. Mein Vater tauchte auf ungezählten dieser Werbepostkarten auf und verteilte Bohrmaschinen für die Märkische Allgemeine Zeitung an den halben Kreis Teltow-Fläming. Focus erschien neu, es gab einen Kugelschreiber, nöö, bitte nicht, war doch etwas zu armselig. Eine Focus-Anstecknadel? Nein danke.

Focus war so schlecht, und der Spiegel zog schnell nach, statt zwei Nachrichtenmagazine zum Lesen gab es mit einem Mal gar keins mehr. Vom Tagesspiegel bekam ich ein schönes Siemens-Telefon, funktioniert auch bis heute. Genau wie der CD-Spieler der Zeit, ohne Zuzahlung! Von der Zeit bekam ich außerdem noch ein Loewe-Telefon mit Anrufbeantworter, das ich aber weiterverkaufte.

Schon bei diesem zweiten Zeit-Telefon begann meine Geschenkegier irrational zu werden. Was sollte ich mit einem zweiten Telefon? Ich hatte schon eins auf dem Klo, eins in der Küche und eins an meinem Hochbett. Ich war also verrückt geworden, und die taz bot eine CD-ROM an: alle Artikel der letzten zehn Jahre, man kann alphabetisch recherchieren oder chronologisch, toll! Ich abonnierte und bekam die CD. Aber ich habe kein CD-ROM-Laufwerk. Ich bestellte die taz wieder ab, und seitdem blättere ich die verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften durch, ich habe keine abonniert, aber ich bin bereit. Sobald es für ein Abo ein CD-ROM-Laufwerk gibt, möglichst mit PCMCIA-Karte, werde ich wieder zuschlagen. Bis dahin lege ich, wenn ich traurig bin, die taz-CD-ROM in den CD-Spieler von der Zeit und lausche dem Rauschen, und irgendwie bin ich dann nach einigen Minuten nicht mehr ganz so traurig. Weil ich weiß: Das Sinnlose ist nur für mich sinnlos, irgendwo gibt es eine Macht, die alles versteht.FALKO HENNIG