Strategisches Knabbern am White Cube

Erfolg haben heißt exponiert werden: In knapp sechs Jahren hat es der Berliner Bildhauer Manfred Pernice von der Hochschule der Künste in den Hamburger Bahnhof geschafft. Dort hat er jetzt seine Werkstatt aufgebaut und sägt hoffnungsfroh Löcher in die Wände des Museums. Ein Porträt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Sein Koffer ist bestimmt der kleinste auf dem Flug nach Rotterdam. Kurz bevor Manfred Pernice startet, um einen künftigen Tatort seiner skulpturalen Maßnahmen zu erkunden, kommt er zum Interview in eine Grillstube. Die liegt genau in der Mitte zwischen der Galerie Neu, die dem Absolventen der Berliner Hochschule der Künste vor fünf Jahren die erste Einzelausstellung einrichtete, und dem Hamburger Bahnhof, in den ihn jetzt die Verleihung des Piepenbrock Nachwuchspreises für Bildhauerei gebracht hat.

Liest man die Liste seiner Ausstellungen in Galerien und Kunstvereinen (P.S.1 in New York, Manifesta Ljubljana, Deichtorhallen Hamburg, Portikus Frankfurt, demnächst Kunsthalle Zürich), dann erwartet man den Auftritt eines Shootingstars mit ausgeklügelter Strategie. Doch für Manfred Pernice ist die Überwindung des Zweifels längst nicht zur Routine geworden. „Warum gerade ich, von allen Kollegen?“, fragt er und schaut verlegen in die Kaffeetasse.

Zusammen mit Monica Bonvicini und Franz Ackermann gehört er zu den Protagonisten, die als „junge Kunst aus Berlin“ durch die Weltgeschichte reisen. Seine Buden und Behälter aus gebrauchten Baustoffen verführen dazu, sie im Kontext des Umbruchs der Stadt zu lesen, die Porösität des alten Ostens in ihnen wieder zu finden. Er selbst sieht das wie ein „Tauschverhältnis mit der Stadt“. „Das hatte eine Zeit seine Stimmigkeit“, sagt er und weiß, dass sein Erfolg mit der Vermarktung Berlins zusammenhängt. Befürchten, auf das Label „Made in Berlin“ reduziert zu werden, muss er dennoch nicht. Dafür sind seine Arbeiten zu durchlässig für die Realität der anderen Ausstellungsorte.

Erfolg haben heißt exponiert werden. Geduldig stellt sich Pernice den Fotografen, die ihn zum Pressetermin vor seine sperrigen Skulpturen treiben wie das Kaninchen in die Falle. Als Zumutung empfindet er die Öffentlichkeit nicht. Denn „nie hätte ich für mich selber solch große Arbeiten gemacht“, meint er. Aufmerksamkeit zu erfahren, das nimmt er dankbar an.

Im Hamburger Bahnhof hat er die Hälfte der Räume leer gelassen und den anderen Teil mit Skulpturen, die wie Wellenbrecher in den Gang ragen, versperrt. Am Übergang der Leere zur Fülle sind die Museumswände aus Spanplatten aufgesägt. Mit dieser Operation am Museumskörper greift Pernice die Hermetik des White Cube an. „Dass ich derjenige war, der das machen durfte, habe ich als Glück empfunden“, freut er sich.

Um „Kunsterwartungen zu neutralisieren“, benutzt er auch schon mal Socken. Die hingen über dem Eingang einer Ausstellung. Auf Socken empfängt man keinen Besuch, in Socken ist man privat. Übrig geblieben sind zwei Paar Strümpfe, die nun hinter der größten Skulptur baumeln. Man entdeckt sie wie einen letzten Satz des Kapitels, den man fast überblättert hätte, und nimmt dadurch erst die Ecke als umschriebenen Raum wahr.

Die ins Museum übertragene „Werkstatt“, in der Pernice mit seinem Mitarbeiter frühere Skulpturen umgebaut hat, besetzt das Zentrum der Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Ihre Eingänge sind mit Sperrholz verbarrikadiert. Findige Besucher entdecken ein Guckloch und schauen, ob das Sägen und Werkeln weitergehen wird. Man kann dies als spröde Absage an den konsumwilligen Museumsbesucher verstehen oder aber als Ausdehnung der Spannung, bevor sich der Vorhang hebt und das Theater zu spielen beginnt.

Pernice beschreibt seinen Umgang mit Räumen als „mentale Hausbesetzung“. Die Modelle komprimieren Erfahrungen. Er erinnert sich an das Haus, dem er 1996 die Bretterbudenskulptur „Stralau 1“ gewidmet hat. Keine Funktionen waren dem leer stehenden Gebäude mehr abzulesen – unklare Besitzverhältnisse, Aneignung offen. Vergessene Räume aber entwickeln ihre eigenen Geister. Armselig und prächtig zugleich mutet das Raummodell an, das er mit handgemalten Tapeten und abgenutzten Teppichresten möbliert hat.

Die Gehäuse, Gerüste und Behälter, die Pernice baut, sind geräumig und verschachtelt genug, um unterschiedlichste Assoziationen in ihnen abzulegen. „Dosentreff“ nennt er lapidar eine Ansammlung runder Behälter, die, aus Latten gezimmert, an Skulpturensockel und kannelierte Säulen erinnern. Über Nummern werden ihnen Fotos, Zeitungsausschnitte und Texte zugeordnet, als ob es sich um Einmachgläser für biografisches und historisches Material handeln würde. Alles hat einen Grund, nichts ist zufällig, suggeriert dieses Verweissystem. Pernice ist alles andere als ein Minimalist, auch wenn ihm seine Vorliebe für Container diese Zuordnung eintrug.

Bis 6. 9., Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart – Berlin