Hamburger Atomstrom für alle

■ HEW kaufen Berliner Bewag, verhökeren HeinGas und schließen Lieferverträge mit französischen Chemiefirmen. Ziel ist der Aufstieg zum nordeuropäischen Großkonzern

Die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) verfolgen ihre Expansionsgelüste intensiv weiter. Gestern erwarben die Atom-Stromer aus der City Nord eine Mehrheitsbeteiligung am Berliner Energieversorger Bewag AG. Zugleich konnten die HEW einen ersten großen Erfolg auf dem seit August vorigen Jahres liberalisierten Strommarkt in Europa verbuchen: Vertragsabschlüsse mit fünf Chemiekonzernen in Frankreich und Italien über Stromlieferungen bestätigte HEW-Sprecher Mario Spitzmüller der taz auf Anfrage.

Ein gestern unterzeichneter Vertrag zwischen HEW und dem größten deutschen Stromkonzern E.ON sieht vor, die von E.ON gehaltenen Bewag-Aktien in Höhe von 49 Prozent an die Hamburger zu übertragen. Zudem übernehmen sie von Kleinanlegern ein weiteres Paket von 9,5 Prozent. Damit werden die HEW, die bislang 1,5 Prozent an den Bewag hielten, mit glatten 60 Prozent zum Hauptaktionär.

Das Geschäft wird zum größten Teil auf Tauschbasis abgewickelt. E.ON übernimmt von den HEW deren 15,7-prozentigen Anteil am zweitgrößten schwedischen Stromkonzern Sydkraft sowie die Mehrheitsbeteiligung von 61,9 Prozent an den Hamburger Gaswerken HeinGas. Obendrauf gibt es noch Bares in Höhe von 485 Millionen Mark. SPD-Bürgermeister Ortwin Runde, zugleich Vorsitzender des HEW-Aufsichtsrates, kündigte an, dass sich das Gremium demnächst „ausführlich“ mit diesem Geschäft auseinandersetzen werde. Er halte es für „eine aus Hamburger Sicht interessante unternehmnerische Konstellation“.

HEW-Vorstandschef Manfred Timm erklärte, die Trennung von HeinGas sei „ein schmerzlicher Vorgang“, aber Geschäft sei nun mal Geschäft und in diesem Fall ein gutes. Er sieht in dem Bewag-Erwerb einen „strategischen Schritt“ sein erklärtes Ziel zu erreichen, die HEW „zur vierten Kraft auf dem deutschen Strommarkt“ zu machen.

Mittelfristig planen Timm und der schwedische Großkonzern Vattenfall, der zum Jahresanfang 25,1 Prozent an den HEW von der Stadt Hamburg erwarb, den Aufstieg zum führenden Stromer Nordeuropas. Eigentliches Ziel ist der Kauf der ostdeutschen Veag, des fünftgrößten Energieversorgers der Republik, und der Lausitzer Braunkohle AG Laubag. „Wir wollen 100 Prozent“, verlautete vor zwei Monaten aus der HEW-Chefetage (taz berichtete). Bis Anfang nächsten Jahres wollen Vattenfall-HEW diesen schätzungsweise zwei Milliarden Mark schweren Deal abgeschlossen haben.

Zugleich expandieren die HEW auf dem liberalisierten Energiemarkt in der Europäischen Union. Vor wenigen Tagen erst schlossen sie „längerfristige“, so HEW-Sprecher Spitzmüller, Vereinbarungen über Stromlieferungen mit den französischen Unternehmen Emtec, Pechiney, Prosyn Polyane und Eramet sowie der Coliloc in Bologna. Sie hätten einen Umfang von etwa 260 Millionen Kilowattstunden (KWh) pro Jahr: „Das entspricht dem jährlichen Gesamtverbrauch einer Stadt wie Lüneburg.“ Über Preise und weitere Konditionen hüllte er sich jedoch in Schweigen: „Die Konkurrenz liest ja auch Zeitung.“ Das sei aber noch nicht das Ende der europäischen Ausstrahlung der HEW, verspricht Spitzmüller: „Es sind weitere bedeutende Abschlüsse in Sicht.“

Schon im Vorjahr haben die HEW nur außerhalb ihres Stammgebietes Hamburg expandieren können. Nach dem im Juni vorgelegten Geschäftsbericht 99 war der Verkauf in der Hansestadt um 1,1 Prozent zurückgegangen, während der überregionale Absatz um 23,3 Prozent gesteigert wurde.

In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat der zu einem Viertel der Stadt Hamburg gehörende Konzern seinen Stromabsatz um satte 28,5 Prozent auf über 7 Milliarden KWh weiter steigern können. Damit liegt er im bundesdeutschen Vergleich weit vorne. Im Durchschnitt haben die deutschen Stromversorger nach Angaben der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke im ersten Halbjahr 2000 ein Absatzplus von lediglich 1,9 Prozent zu verzeichnen.

Zu verdienen, klagt Spitzmüller, sei mit Strom aber kaum noch etwas. Schon im Vorjahr war der Gewinn um fast ein Viertel auf magere 124,6 Millionen Mark geschrumpft. Im Konkurrenzkampf um die Steckdosen habe der Preisverfall den Profit weiter geschmälert, bedauert der HEW-Sprecher.

Für den Vorschlag, die vier HEW-Atommeiler dann doch besser stillzulegen, mochte Spitzmüller sich jedoch nicht erwärmen.

Sven-Michael Veit