Töten im Geiste von Yin und Yang

Bei der Go-EM belegt ein Deutscher Platz zwei, im Mittelpunkt des Strategiespiels steht aber ein japanischer Missionar

STRAUSBERG taz ■ Japanisches Brettspiel mit zwei Buchstaben? – Natürlich: Go. Wer sein Rätselwissen vertiefen wollte, hatte in Strausberg bei Berlin Gelegenheit. Über 800 Fachleute kamen, um das Strategiespiel mit den schwarzen und weißen Steinen zu spielen. Beim 44. European Go Congress war besonders das Board des japanischen Go-Missionars Masataka Saijo gefragt, der außer Konkurrenz Simultanpartien bestritt. „Seit seiner Ankunft spielt der Träger des achten Profi-Dans fast ununterbrochen im eigens für ihn aufgestellten Castle“, sagte Mitorganisator André Weiher.

Zurückhaltend und gelassen saß der 59-jährige Saijo also da, wiegte sich siegessicher auf der kargen Holzbank von rechts nach links, zwischen den Lippen eine japanische Zigarette mit Mundstück. „In Japan“, erklärt Weiher, „haben Go-Spieler einen höheren Stellenwert als Fußballspieler hier.“ Keine Frage, dass neben Spielern aus China, Korea, Australien und Chile auch 150 Japaner anreisten, um den Europäern eine Lehrstunde zu erteilen.

Go erinnert an eine Mischung aus Schach und Mühle. Beim Go wird aber auf 361 Schnittpunkten gespielt. Im Gegensatz zum Schach ergeben sich dadurch allein für den Eröffnungszug 129.960 Varianten, für die ersten drei sogar über 46 Millionen Kombinationen. Eine alte Go-Weisheit lautet: „Go zu erlernen dauert eine Stunde, es zu meistern ein ganzes Leben.“ Zu Beginn ist das Brett leer. Abwechselnd werden die ursprünglich Yin und Yang symbolisierenden Spielsteine mittels eigenwilliger Fingertechnik zwischen Zeige- und Mittelfinger auf das Board geschnippt. Es geht bei nur vier Grundregeln darum, „Territorien“ abzustecken, Steine durch Umzingeln „gefangen zu nehmen“ oder gar zu „töten“.

Go ist durch eine militärische Historie geprägt. Viele chinesische Heeresführer, aber auch Maos Armee nutzten es zu strategischen Überlegungen; in Japan war es noch bis vor kurzem Pflichtfach an Militärakademien. Aus der Jin-Dynastie (265–420 n. Chr.) ist überliefert, dass die Neffen Xian An und Xie Xuan die Entscheidung des Krieges durch eine Partie Go bestimmten.

Die Spieler in Strausberg kümmerten sich weniger um die Geschichte als um ihre EM-Partien, die ohne Profis ausgespielt wurden. „Das wäre ja gemein“, meint André Weiher, der für ein Rostocker Team antritt. „Es gibt keine eigenständigen europäischen Profis“, erklärte er. In Strausberg gewann schließlich der russische Amateur Alexandr Dinerstein den EM-Titel. Der Bochumer Franz-Josef Dickhut wurde Vizeeuropameister.

Während Dickhut seine letzte Partie spielte, kam auch der Masataka Saijo in seinem Innenhof-Castle einmal ins Schwitzen. Eine unbekannte junge Frau bot ihm lange Paroli, bis er doch noch mit einem Stein Vorsprung gewann und genüsslich eine japanische Zigarette im edlen Mundstück platzierte. GERD DEMBOWSKI