Pflichtprogramm konfus abgehakt

■ Ausblick statt Ausreden: HSV verliert mit zehn Spielern 0:4 gegen Hertha BSC

Es waren jene zwei Minuten, die sich vorzüglich als Legitimation der gezeigten Leistung hätten heranziehen lassen. Zwei Minuten zwischen der 29. und 31., die Andrej Panadic zwei gelbe Karten und dem Hamburger Sport Verein einen Mann weniger bescherten. Zwei Minuten, die als Erklärung hätten dienen können, wie eine solche 4:0-Niederlage gegen Hertha BSC zustande kommt: „Mit zehn Mann war es einfach unmöglich“, „die gelb-rote Karte hat unseren Spielfluss vollkommen zerstört“ oder „danach war nicht mehr drin“.

Dass kaum einer nach dem Spiel in Berlin die Dezimierung als Grund für die desolate Leistung vorschob, zeigt den neuen Anspruch beim HSV. Ziele wie der Klassenerhalt oder ein einstelliger Tabellenplatz sind passé. Jetzt, da die Champions League in unmittelbarer Nähe liegt, fallen Sätze wie „wir wollen wieder in den internationalen Wettbewerb“ (HSV-Trainer Pagelsdorf) leichter, vor allem wenn der Blick gen Etablierung als Deutschlands Nummer drei gerichtet ist.

Davon war man am Samstag Nachmittag aber ein deutliches Stück entfernt. Schon vor der Hinausstellung Panadics dominierten die Berliner das Geschehen und erzielten durch den überragenden Stefan Beinlich in der 17. Minute das 1:0. Der Ex-Leverkusener, der sichtlich seinen Vorhersagen („In drei Jahren will ich mit Hertha Meister werden“) Nachdruck verleihen wollte, war überall zu finden, dirigierte, gab Anweisungen. Die Hamburger dagegen zeigten sich nicht aggressiv genug und verloren bei den ständigen Seitenwechseln der Berliner Spieler oft die Übersicht. „Ziemlich konfus“ sei das Spiel seiner Mannschaft gewesen, kommentierte Frank Pagelsdorf, die Ordnung habe gefehlt, „und zwar nicht nur nach dem Platzverweis“.

Womit sich der Reigen derer schloss, die sich im Klaren waren, dass hoher Anspruch den offenen Umgang mit der eigenen Vorführung beinhaltet. „Wir haben nicht dagegen gehalten und nur in der eigenen Hälfte verteidigt. Das war eine indiskutable Leistung“, gab Nico Kovac zu Protokoll. „Sehr blamabel“ etikettierte Roy Präger und beklagte die mangelnde Konzentration. Auch der Übeltäter selbst konstatierte: „Ganze Mannschaft hat nicht geklappt.“ Und dann entsprang ihm doch einer der Sätze, die fast schon vergessen waren. „Was soll ich auch machen, wenn er mit 100 km/h auf mich zu rennt.“

Eine andere Auslegung besagt, dass Panadic zweimal zu spät kam. Erst traf er Dariusz Wosz mit dem Ellbogen, dann war er zu langsam für den Berliner Piotr Reiss. So ergänzte sich die Geschichte mit 2:0 und 3:0 durch einen Freistoß von erneut Beinlich und einen Sololauf von Michael Hartmann fast von alleine. Das 4:0 (76.) von Marko Rehmer war nur eine weitere Offenbarung der völlig unorganisierten Abwehr, in der es nur noch um schnelle Entledigung des Balles ging.

Ein fader Beigeschmack bleibt und wirft die Frage auf, ob es den Hamburgern in gewissem Maße nicht auch um die Erledigung dieses unerwünschten Pflichtprogramms ging. Roy Präger jedenfalls war schnell an dem Satz angelangt: „Wir müssen nach vorne schauen und uns auf Dienstag konzentrieren.“ Dienstag, tiefgreifendes „All-in-one“ für den HSV. Der Tag, der über Anspruch und deren Umsetzung entscheidet. Das Spiel gegen Bröndby Kopenhagen um den Einzug in die Champions League scheint die Köpfe der Beteiligten zu füllen. Und so blieb denn auch noch Zeit, ein wenig zu scherzen. Auf die Frage, warum denn diese Saison die Bindung zwischen den Mannschaftsteilen nicht zu erkennen wäre, erwiderte der HSV-Coach: Die Mannschaft brauche eben eine gewisse Anlaufzeit.

Um das Abspulen dieser Zeitspanne sollte er sich bereits jetzt Gedanken machen. Damit am Dienstag nach dem Spiel der Trainer von Bröndby nicht auch mit einem Schmunzeln auf die eigentliche Gefährlichkeit der Hamburger Spitzen hinweisen kann – so wie am Samstag Nachmittag Hertha-Trainer Jürgen Röber. Florian Bauer

Siehe auch Seite 16