Einsatz für den Kreuzberger Messias

Die Interessengemeinschaft Historische Friedhöfe kämpft für den Erhalt von Gräbern vergessener Berliner Persönlichkeiten. Darunter: Jakob Kuny, der erste echte Nachkriegsdemonstrant, und die Gestalterin des Berlinale-Bären, Renée Sintenis

von BIRGIT ASSMANN

Wer nicht in einer Ehrengrabstätte oder auf einem jüdischen oder türkischen Friedhof liegt, hat kaum Chancen, ewige Ruhe zu erlangen. Sein Grab wird in dieser Stadt gewöhnlich nach 20 Jahren eingeebnet. Häufig werden so Gräber von Menschen vernichtet, die einmal eng mit dem Stadtgeschehen verbunden waren. Diese historischen Persönlichkeiten aufzuspüren und bekannt zu machen, hat sich die „Interessengemeinschaft Historische Friedhöfe“ vor dreieinhalb Jahren zur Aufgabe gemacht. Seitdem bieten die Hobbyforscher regelmäßig Friedhofsführungen an und halten Vorträge über die vom Vergessen bedrohten Gräber und Personen.

Gern erzählt Carl-Peter Steinmann – einer der Initiatoren der Interessengemeinschaft – die Geschichte vom „Messias von Kreuzberg“. In der Nachkriegszeit zog Jakob Kuny (1893–1977), die freie Liebe predigend, durch Kreuzberg und über den Kurfürstendamm. Viele seiner studentischen Anhänger folgten ihm mit den Forderungen „Ein Volk, ein Reich, ein Kuny“ oder „Ein Lehrstuhl für Kuny“.

1948 wurde einer seiner Predigten als – damals verbotene – Demonstration eingestuft und „der Messias“ verhaftet. Doch das löste die Empörung seiner Anhänger und damit die erste „echte“ Demonstration im Nachkriegsdeutschland aus.

Kuny starb 1977 verarmt und unbeachtet und wurde auf dem landeseigenen Friedhof Schöneberg 4 am Priesterweg – auf dem sich nach Steinmann „niemand freiwillig begraben lässt“ – beerdigt. 1995 konnte der Hobbyforscher die Einebnung verhindern, indem er den Friedhofsverwalter von Kunys Geschichte begeisterte. Eine kleine Notiz verhindert seitdem die Einebnung.

Friedhofsinitiativen existieren in allen deutschen Großstädten. Steinmann hat für das rege Interesse in Berlin zwei Erklärungen. „Auf der Suche nach den eigenen Wurzeln blieb vielen Menschen nach der Wiedervereinigung nur noch der Weg zum Friedhof“, sagt er. Außerdem seien die Ruhestätten überall anders. „Deshalb mögen viele Friedhofsführungen als Gegensatz zum touristischen Einerlei.“

Noch keinen Erfolg hatte die Initiative auf dem Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Friedhof am Fürstenbrunner Weg, wo bis 1997„der Schindler von China“ lag. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete der Ingenieur John Rabe (1882–1950) für Siemens im chinesischen Nanking. Rabe war von den Auswirkungen des von Japan geführten Kriegs gegen die chinesische Zivilbevölkerung entsetzt. Aus diesem Grund beteiligte er sich an dem Aufbau einer Schutzzone für chinesische Zivilisten, die er später leitete. 250.000 Chinesen konnte er so das Leben retten. 1950 starb er in Siemensstadt – auch er vergessen. Während er in China heute noch verehrt wird, wurde sein Grab 1997 eingeebnet. Weder die Interessengemeinschaft noch Rabes Enkelin konnte bisher die Aufstellung eines Gedenksteins erwirken.

Zurzeit bereiten die Friedhofsforscher außer der Gräbersuche noch Führungen unter dem Motto „Bärenstarke Frauen“ vor. Denn obwohl viele Frauen eng mit der Geschichte Berlins verbunden sind und waren, liegen überwiegend Männer in den Ehrengräbern der Stadt. Folglich werden diese Frauen auch schneller vergessen und ihre Grabstätten schneller eingeebnet. Der Titel entstand bei der Entdeckung des Grabs von Renée Sintenis (1888–1965) auf dem Waldfriedhof Dahlem am Hüttenweg. Sie entwarf die Skulptur für den Berlinale-Bären.

Kontakt: Carl-Peter Steinmann,Tel, 8 03 66 90