„Viele wollen abwandern“

Rechte Gewalt auf der Straße, die rechtsextreme DVU im Magdeburger Landtag: Die Migranten im Land sind resigniert, meint Günter Piening, der Ausländerbeauftragte von Sachsen-Anhalt. Die Politik aber sei nach dem Tod Alberto Adrianos aufgewacht

taz: Die drei jungen Skinheads haben Alberto Adriano entsetzlich brutal umgebracht. Haben Sie in Dessau vor dem Mord Anzeichen für eine extrem gewaltbereite rechte Szene bemerken können?

Günter Piening: Das Problem in Ostdeutschland ist die Frage: Woran will man die rechte Szene messen? Nach dem Einzug der DVU 1998 in den Landtag von Sachsen-Anhalt hat es in Dessau eine kleine Freudendemo gegeben. Aber rechtsextremistische Gewalttaten kamen in der Vergangenheit in Dessau nicht häufig vor.

Hat sich das politische Klima seit dem Mord verändert?

So eine Tat schafft eine sehr resignierte Stimmung unter den Migranten, die hier seit mehr als einem Jahrzehnt leben. Sie fühlen sich als gestandene Ostbürger und sehnen sich nach nichts anderem als nach Normalität. Die Wirkung von rechtsextremen Straftaten auf sie ist unglaublich. Viele der klassischen DDR-Migranten wollen abwandern. Nach dem Mord fragt sich jeder: Kann ich hier noch leben?

Fünf Tage nach dem Mord zogen 5.000 Menschen schweigend vom Rathaus zum Park. Wirkt dieser stille Protest nach?

Diese Demonstration war ein eindeutiges Zeichen von Politikern und anderen Bürgern. Es gibt aber auch den berüchtigten Spruch des Oberbügermeisters, der froh ist, dass die Täter keine Dessauer sind. Auf der anderen Seite wird der Begründungszusammenhang der Gewalt jetzt viel stärker thematisiert. Und um das multikulturelle Zentrum der Stadt gruppiert sich eine lebhafte Szene. Es wurde eine Stelle eingerichtet, an die sich Ausländer wenden können, wenn sie sich von ihrer Umgebung, etwa von Polizisten, ungerecht behandelt fühlen. So stärken wir die Beschwerdemacht von potenziellen Opfern. In jedem Polizeirevier gibt es außerdem Ansprechpartner für Ausländer. Solche Initiativen machen mir Hoffnung.

Haben Politiker und Migranten ein neues Verhältnis zu einander gefunden?

In Dessau herrscht seit langem eine offene Situation. Vor einiger Zeit saßen fünfzehn Migranten und fünfzehn Spitzenvertreter von Behörden in einer Zukunftswerkstatt zusammen. Zwei Tage lang haben sie darüber nachgedacht, wie sie gemeinsam ihre Zukunft verbessern können. Dabei ging es auch um die Frage: Was können wir aus dem Stadtpark, diesem stigmatisierten Ort, machen? Es kamen die verschiedensten Ideen zusammen. Im September wollen dort Deutsche und Migranten gemeinsam ein Fest feiern.

Kann man sich mit einem Fest vom Stigma befreien?

Der Park muss wieder ein Platz für alle Dessauer werden. Was das konkret heißt, kann man jetzt noch nicht sagen. Eine Studentengruppe der Fachhochschule für Design hat einen Vorschlag gemacht, dort ein Labyrinth des Nachdenkens einzurichten, durch das man durchgehen kann. Dort, wo heute die Gedenkstele steht, soll man Raum und Platz finden, seine Stellungnahme zum Tod von Alberto Adriano niederzuschreiben. Wichtig ist, dass dieser Platz wieder ein Ort des Lebens wird, ich will keine Ansammlung von Friedhöfen in Ostdeutschland.

Sachsen-Anhalt liegt in der Statistik der rechten Gewalt seit Jahren an der Spitze. Was macht das Land für Rechtsextreme so attraktiv?

Mir geht es nicht darum, Straftaten zu zählen, sondern man muss auch die Begründungszusammenhänge thematisieren, aus denen sie passieren. Jeder Achte hat die DVU gewählt, wir haben den Magdeburger Herrentag, der für viele Vorfälle steht. Aber seit dem Einzug der DVU steht das Thema bei uns im Mittelpunkt der Politik. Selbst im Umweltministerium wird diskutiert, wie man die Förderprogramme für den ländlichen Raum verändern kann, um Demokratie dort stärker zu thematisieren. Das Wirtschaftsministerium wird eine Kampagne vorstellen: Ausländer nehmen in Sachsen-Anhalt keinen Arbeitsplatz weg.

Sie stellen politische Absichtserklärungen vor.

Es bewegt sich politisch doch einiges. Probleme werden nicht mehr kleingeredet, und deswegen würde ich auch eine positive Bilanz dieser Sommerdebatte über den Rechtsextremismus ziehen, auch wenn manche Auswüchse, wie die „Steckbriefe“ von Rechten in der taz, nicht gerade zur Stärkung der Zivilgesellschaft beitragen.

INTERVIEW: ANNETTE ROGALLA