Alles über sein Mutterland

„Almodovariano“ ist Spaniens neues Wort für „echt chaotisch“, nach seinem berühmtesten lebenden Filmemacher:Pedro Almodóvar, Oscar-Preisträger 2000. Eine Reise zu seinen Anfängen mit Don Quichotte und Sancho Pansa im Gepäck

von ROLAND MOTZ

Sobald die Autobahn außer Sichtweite gerät, hört der Verkehr schlagartig auf. Unendliche Weite, ab und zu einmal von einer Burg unterbrochen, nicht enden wollende Getreidefelder, hin und wieder wie Soldaten in Reih und Glied stehende Olivenbäume und niedergeduckte Weinstöcke. Wir sind mitten in der Mancha. Don-Quichotte-Land. Wir wollen ins Almodóvar-Land.

Windmühlenkämpfe

Plötzlich geraten elf Windmühlen neben einer Burgruine ins Blickfeld. Wir erreichen den unterhalb des Bergrückens liegenden blitzsauberen Ort. „Se vende“ – „zu verkaufen“ – steht an jedem dritten Haus. Fast alle Gebäude sind weiß getüncht und haben rote Tonziegeldächer. Kein Mensch ist auf der Straße. Es sieht nicht so aus, als ob in letzter Zeit jemand gekauft hätte. Wir folgen einem Schild zu den ebenfalls frisch geweißten Mühlen. Vor El Sancho verkauft eine Frau Honig und Gewürze. Wie an einer Perlenkette aufgereiht stehen die Windmühlen von Consuegro hintereinander. Ein erhabenes Bild, um sich den ungeheuerlichsten Kampf vorzustellen, den Don Quichotte je auszufechten hatte.

„Dort siehst du, Freund Sancho Pansa, wie dreißig Riesen oder etliche mehr zum Vorschein kommen; mit denen gedenke ich einen Kampf zu fechten und ihnen allen das Leben zu nehmen. Es geschieht Gott ein großer Dienst damit, solch übles Gezücht vom Angesicht der Erde zu vertilgen.“ – „Bedenket doch, Euer Gnaden“, entgegnete Sancho, „die dort sich zeigen, sind keine Riesen, sondern Windmühlen.“ Der Ausgang des Kampfes ist bekannt. Es ist der Anfang einer Serie von Niederlagen des Träumers gegen die raue Wirklichkeit.

Am südwestlichen Rand der Mancha liegt Almagro. Die verschlafene hübsche Kleinstadt mit ihren zahlreichen Palästen ist nach ihrem berühmtesten Sohn benannt. Diego de Almagro war einer der ganz Großen der spanischen Conquista und gilt als der Entdecker von Chile. Das unübersehbare Denkmal vor der Plaza zeigt einen Mann „von edler Gesinnung und vornehmem Denken“. Schon bei der Gefangennahme des Inka-Herrschers Atahualpa stellte er die gepriesenen Charaktereigenschaften unter Beweis, indem er seinen im Blutrausch befindlichen Partner Francisco Pizarro davon abhielt, den Indios weiter hinterherzureiten und ihnen die Hände abzuhacken, die man doch zu eigenem Nutzen noch wirken lassen könne. 1538 kehrte er einäugig, halb verhungert, verbittert und ohne Gold aus der schrecklichen Wüste Atacama zurück.

Seinen vergangenen Wohlstand verdankt Almagro den Fuggern; diese wiederum verdanken einen Teil ihres Reichtums dem ständig drohenden Staatsbankrott des spanischen Imperiums. Alles Gold und Silber aus Mexiko und Peru reichte nicht aus, um die Ausgaben zu decken. Die Fugger bekamen die Schürfrechte an den Quecksilber- und Zinnminen in der Umgebung von Almagro sowie umfangreiche Handelskonzessionen mit der Neuen Welt. Sie bauten die Stadt zur Metropole ihres Handels mit Übersee aus.

Am Ende der Gasse

Wenn man durch die engen Gassen der Kleinstadt schlendert, kommt man bald am Lagerhaus und dem kleinen Palacio der „Fucares“ vorbei, wie die Augsburger in Spanien bezeichnet werden. Das Wort gilt noch immer als Synonym für reiche Leute. Am beeindruckendsten ist jedoch die flämisch geprägte Plaza Mayor, die so gar nicht in die Mancha passen will. Mit seinen zweigeschossigen grünen Fachwerkgalerien über den Arkaden wirkt der lang gezogene, rechteckige Platz wie ein überdimensionaler und dennoch gemütlicher Innenhof. Der ideale Ort, um auf den Stühlen vor der Bar einen Aperitif zu sich zu nehmen und dem gemächlichen Treiben zuzuschauen. Natürlich heißt die Kneipe Don Quichotte. In den schattigen Laubengängen klöppeln Frauen vor sich hin. Nichts zu sehen von Frauen am Ende des Nervenzusammenbruchs wie in Almodóvars Filmen.

Baumlose Hügel, karstige Steppen begleiten uns auf dem Weg nach Calzada de Calatrava. Hebt man den Blick, flimmert die Landschaft unwirklich leblos in der trockenen Luft. Ein entgegenkommender Lastwagen hupt aus Langeweile. Öde, staubig und leer liegt das Land vor unseren Augen. Schon von weitem sieht man die gewaltige Burganlage des Calatrava-Ordens. Der älteste und bedeutendste spanische Ritterorden hatte hier seinen Hauptsitz. Nach dem Fall Toledos war die Festung lange der einsame Vorposten im Grenzland zwischen Mauren und Christen, von dem aus die Reconquista ins sagenumwobene Al Andalus vorangetrieben wurde. In Navas de Tolosa, 40 Kilometer südlich, schlug ein christliches Heer unter Führung von Alfonso VIII. die maurischen Truppen. Der Weg zum fruchtbaren Becken des Guadalquivir war frei.

Auferstehung der Mutter

Die Tatsachen sind die schlimmsten Feinde der Wahrheit, könnte man mit Cervantes ausrufen, wenn man nach Calzada de Calatrava kommt, 22 Kilometer südlich von Almagro und 22-mal so verschlafen. Wieder die obligate Bar Quichotte an der Plaza neben dem Café de la Place. Musik ertönt aus der Bar. Eine alte Frau in Schwarz huscht über einen der schmiedeeisernen Balkone mit den grünen Markisen. Vielleicht Almodóvars Mutter. Nein, die ist lange schon tot. Aber es ist der Ort, aus dem der kosmopolitischste Spanier dieser Tage kommt: Pedro Almodóvar, Oscar-Preisträger 2000.

„Klar doch, wir sind stolz auf Don Pedro, ein echter Manchego, auch wenn er schwul ist“, sagt Juan, der Kellner im Café. Almodóvars Geschichten verstehen sie nicht. Wie auch – ein weiblicher Transvestit schwängert eine Nonne und infiziert sie mit Aids. Bei der Geburt ihres Kindes stirbt sie, das Kind wird von ihrer Wohngenossin adoptiert, deren Kind vom selben Liebhaber zuvor vom Bus überfahren wurde. Darum geht es im letzten Film, „Alles über meine Mutter“. Das wäre selbst Don Quichotte nicht eingefallen, eben echt almodovariano, wie das neue spanische Wort für „chaotisch“ lautet.

„Hier auf der Plaza hat er vor einem Monat gestanden und geweint hinter seiner dunklen Sonnenbrille“, erzählt Señora Ruiz García, und dann habe er seinen Oscar gegen eine Statue von Don Quichotte eingetauscht, während ihr Mann, der Bürgermeister, geredet habe. Nein, sie möge seine Filme nicht besonders, „aber so ist Spanien heutzutage“, sagt die resolute Dame und verabschiedet uns mit einem Loblied auf Pedros Eltern. „Buena gente, gute Leute, diese Almodóvars, eine Familie von Maultiertreibern.“