Ein Werbespot für Jesus

Süß und wandelbar sind die Namen des Neoliberalismus: In seinem Roman „Generation P“ entziffert der russische Schriftsteller Viktor Pelewin die Codes auf den glänzenden Oberflächen der Gegenwart

von WLADIMIR KAMINER

Viktor Pelewin, der 38-jährige russische Schriftsteller, weigerte sich noch vor kurzem, als sein erster Roman für alle Literaturkritiker unerwartet zu einem Riesenerfolg geworden war, sein Gesicht den Journalisten und aufgeregten Fans zu zeigen – wie eine unterdrückte muslimische Frau lief er durch Moskau: ganz in Schwarz eingewickelt.

Diese Zeiten sind vorbei, Viktor Pelewin darf nichts mehr verbergen. Sein Gesicht ist seit über einem Jahr zum Gemeingut des russischen Volkes geworden. Jeder seiner neuen Romane wird zwar immer noch von den Literaturkritikern verrissen, dafür aber von breiten Leserkreisen hochgejubelt.

Pelewin schaffte das Unmögliche – den Russen wieder Lust auf Bücher zu machen. Alle lesen seine Werke. Der frustrierte, zynisch gewordene Intellektuelle, der von der „großen Literatur“ die Nase gestrichen voll hat, der romantische Junge, der alle auf dem Papier stehenden Weisheiten hasst, und die dicke Köchin aus der Kantine, die sonst nur Krimis mag. Auch der Gangster, der Religionsfanatiker und der Geschäftsmann lesen Pelewin – heimlich.

Was unterscheidet Pelewin von den anderen? Das Thema ist es nicht. All seine Romane handeln vom verwirrenden Leben im postsozialistischen Russland. Doch während die meisten Autoren sich nach wie vor wie die Lehrer in der Schule benehmen und ihre Pflicht darin sehen, die Gegenwart zu beurteilen, versucht Pelewin sie zu entziffern. Unter den vielen leeren und unbekannten Begriffen, die der Neokapitalismus mit sich brachte, findet er wahre Schätze, die er zu einer neuen Realität zusammenbaut. Jeder seiner Romane ist ein Rätsel, ein Spiel, in dem der Sinn und der Wahnsinn in ein spannendes Verhältnis gesetzt werden: Kuba und Libre in einem Glas.

Beim neuen Roman des Autors, der auf Deutsch erschienen ist, fängt das Rätsel schon im Titel an: „Generation P“. Seit über einem Jahr streiten sich die russischen Literaturkritiker und die Leser, was das geheimnisvolle P bedeuten soll. Es gibt sogar eine extra dafür eingerichtete Internet-Seite mit etwa hundert Versionen: Viele Wörter im Russischen fangen mit einem P an, und die meisten passen auch sinngemäß in den Titel des Buches.

Die Hauptfigur des Romans, Tatarski – ein junger Absolvent des Literaturinstituts –, sucht in der neuen Welt nach seiner Berufung. Zuerst vergeblich. Die Welt des russischen Kapitalismus ist ihm fremd und noch unbeschriftet, wie ein weißes Blatt Papier. Das Leben füllt sich mit den Dingen und Sachen, die im russischen Bewusstsein noch keinen Namen haben. Von einem zum Tode gefolterten Geschäftsmann bekommt Tatarski eine geheime Botschaft: „This Game has no Name“ steht auf dem Zettel.

Tatarski wird klar, dass er als Autor die Kraft besitzt, den Dingen einen Namen zu geben und sie dadurch zu besitzen. Er wird ein Werbetexter. Die Werbung ist fähig, alles zu verwandeln: Aus einer Meerjungfrau wird ein Waschpulver, aus dem militärischen Angriff auf das russische Parlament eine Werbung für gleichnamige Zigaretten: „Süß ist der Rauch des Vaterlands. Parlament.“ Tatarski wird berühmt und geht so weit, dass er sogar für Gott einen Werbespot entwickelt: „Jesus Christus. Ein solider Herr für solide Herren.“

Tatarski macht Karriere in der Branche – alle wollen seine Werbespots haben. Bald darf er auch hinter die Kulissen gucken. Mit Erstaunen merkt er, dass es hinter den Werbesprüchen gar nichts gibt, die Produkte, die Firmen, die Banken, selbst die Politiker existieren nicht.

Tatarski wird zynisch, zieht sich zurück und nimmt Drogen. Doch bald begreift er seinen Irrtum: Im Badezimmer trifft er zufällig auf einen Strauch mit Gurken, die ihm ein weiteres mikroskopisch kleines Teil der Wahrheit zeigen. Von einem deutschen Leser wird diese Geschichte wahrscheinlich wie ein Science-Fiction gelesen, die Russen erkennen darin aber ihre Gegenwart.

P. S.: So sieht ein Werbespot zum Thema „Kreislauf der Dinge in der Natur“ aus: Man sieht einen Wasserfall, dann hört man die Stimme des Sprechers: „Wodka Absolut. In meinem früheren Leben war ich reines klares Wasser.“ Das nächste Bild zeigt den voll gekotzten Asphalt vor einer Kneipe. Die Stimme sagt: „In meinem früheren Leben war ich Wodka Absolut.“

Viktor Pelewin: „Generation P“. Aus dem Russ. von Andreas Tretner. Volk und Welt, Berlin 2000, 322 S., 42 DM