island auf der expo
: Der Chor singt vom Wein und profitiert vom Bierpreis

Schöne Trauben

Jón Bjarni Atlasson ist einer im Team, das den Beitrag Islands auf der Expo betreut. Er strahlt: „Dreißigtausend Besucher täglich, wir konkurrieren mit dem deutschen Pavillon.“ Tatsächlich hat sich am Island-Tag letzte Woche eine lange Schlange gebildet, die vor vor dem blauen Kubus wartet, den der Designer Árni Páll Jóhansson aus 180 Tonnen Stahl und einer transzendenten blauen Hülle konstruiert hat. – Da fragt man sich, ob Gerhard Schröder, weil er nicht in dieser Schlange stehen durfte, heute auf seiner Reise zum UN-Millenniumsgipfel in New York einen Zwischenstopp in Island macht. An den vier Seiten des Pavillons jedenfalls rinnt permanent ein Wasserfilm hinunter, und im Innern schießt alle paar Minuten ein künstlicher Geysir eine fast zwanzig Meter hohe Fontäne nach oben. Die Besucher rufen dann euphorisiert „oooh!“ und tasten sich im bläulich schimmernden Innern einer spiralförmigen Rampe entlang.

Auf einer Videoleinwand laufen laut Angabe sämtliche Namen aller verstorbenen und noch lebenden Isländer. Tatsächlich ist es möglich, alle Namen aufzuführen. „Allerdings wären das eine Million und 30.000“, verrät mir Jón Bjarni, „und das Abspielen würde drei Wochen dauern, das Videoband ist schon etwas kürzer.“ Egal, die Idee ist jedenfalls super.

Gleich neben den Namen werden 80.000 alte Fotoporträts der Inselbewohner projiziert. Etwas Ähnliches zeigt das Fürstentum Liechtenstein in seinem Pavillon, der im Innern mit den Konterfeis seiner noch lebenden Bewohner geschmückt ist, allerdings nur in einer begrenzten Auswahl. Er ist ebenfalls ein Kubus und sieht ein bisschen aus wie ein superschicker Safe. Es ist sicher nicht unklug, ihn statt mit CDU- und anderen Millionen mit sympathischen VaduzerInnen zu schmücken.

In der VIP-Lounge des isländischen Pavillons sind inzwischen die Jungs der Popband Sigur Rós eingetroffen. Sie sind nett und jung und außerdem sympathisch. „Nein, die Expo interessiert mich nicht. Ich wäre lieber in Berlin statt in Hannover“, meint Sänger Jón Thór Birgirsson. „Da war ich außerdem noch nie.“ Solch Offenherzigkeit überrascht doch. Schließlich werden Rockstars von ihren Managern gedrängt, überall den Namen ihres Spielortes freudig auszurufen: Hello, its nice to be in Salzgitter-Lebensstedt!

Vielleicht schauen sich Sigur Rós mal den Hannoveraner Club „Silke Arp.bricht“ an, der ist nämlich großartig. Silke Arp.bricht hätte auch einen Kubus oder zumindest einen kubischen Kellerraum auf der Expo bekommen sollen. Übrigens kann ich den Eindruck des Besuchermangels nicht teilen, gelegentlich sind sogar Schlangen zu sehen, so eine extrem lange am mexikanischen und kürzere am ägyptischen und slowakischen Pavillon. Wahrscheinlich waren die Voreinschätzungen ein Trick der Expo-Geschäftsleitung, um möglichst viel Geld im Vorfeld abzuzocken.

Während die Pavillons mancher Länder von Marktständen gesäumt sind, offeriert der Islandpavillon eine spartanische Auswahl heimischer Produkte, lediglich etwas Badesalz aus der Blauen Lagune, Ice-Wodka und ein paar Fischkonserven, Hering in Curry. Keine Pullover oder geschnitzten Islandpferde. Auch keine auffällige Firmenwerbung. Das ist eigentlich sehr angenehm. Eine große Dose Egill-Bier kostet nur sechs Mark, ist also halb so teuer wie in Reykjavík. So profitiert auch der Karlakórinn Heimir, ein fünfzigköpfiger Männerchor aus Skagafjördur in Nordisland, vom preiswerten Bier in Deutschland, allerdings erst nach seinem Auftritt. Die Herren aus allen möglichen Berufen, Farmen und Dörfern der Region haben für den Island-Tag ihre schönen Stimmen mitgebracht, einige Solisten schmettern ihre Parts gar gekonnt wie auf einer Opernbühne. „Im nächsten Lied werden Pferde, Frauen und Sonnenschein behandelt“, kündigt der Chorleiter Stefán Gíslason an. Und ein sehr pathetisches Lied, „Brennith thith vitar“, das hier leider auf seine speziell isländischen Buchstaben verzichten muss, da sie im Buchstabensystem nicht nur der taz unauffindbar sind, kündigt vom Feuerteufel. „Zündet die Leuchttürme an!“, ruft der Chorleiter. Na ja, möglicherweise habe ich das falsch verstanden.

Schließlich stimmt der Karlakórinn die isländische Nationalhymne an, was zur Folge hat, dass sich das Publikum erst zögerlich, dann bereitwillig von den Sitzen erhebt. Mit meinem Freund Matthias bleibe ich sitzen, schließlich geht es ja nicht um eine Siegerehrung. Und anschließend folgt auch noch die deutsche Hymne. Dabei hätte der Chor diesen Part so wunderbar vereinigen können. Mit dem Lied „Sálmur yfir víni“, das Lied zum Wein, das der erste Islandminister im dänischen Parlament, Hannes Hafstein, im Jahr 1898 auf die Melodie eines Haydn-Stückes schrieb, das hierzulande auch als so genanntes Deutschlandlied mit dem Text von Hoffmann von Fallersleben bekannt wurde.

In der isländischen Version geht es weder um deutsche Treue, Frauen, Recht und Freiheit, sondern vornehmlich um das Vergnügen, Rotwein zu trinken: Warum sollten wir das nicht tun, wo Gott so schöne Trauben wachsen lies? Auch wenn die Guttempler schelten, du sollst nicht Rotwein trinken, wir trinken trotzdem Rotwein! Eine gewisse Sturheit gilt wohl doch als isländischer Wesenszug. WOLFGANG MÜLLER