Politblattder Straße

Die „perșembe“-Macher sind in die deutsche und türkische Kultur integriert. Pizza gibt es trotzdem noch ohne Schinken

von ARNO FRANK

Einen Katzensprung von der Berliner taz-Zentrale entfernt hat die Redaktion von perșembe Quartier bezogen: Fünf Teilzeitredakteure und eine voll beschäftigte Journalistin arbeiten hier auf etwa 40 Quadratmetern an den jeweils acht Seiten, die wöchentlich produziert werden.

Die beiden Räume in der Charlottenstraße liegen ebenerdig. Die Redakteure arbeiten praktisch auf offener Straße. Flankiert werden die lichten Büros von einem Lidl-Supermarkt und einem Döner-Imbiss. Schräg gegenüber erhebt sich das Kreuzberger Arbeitsamt. Um die Ecke ein Italiener, bei dem sich Chefredakteur Ömer Erzeren gerade eine Pizza besorgt hat – halb Schinken, halb ohne.

„Uns gefällt das hier so lange, wie wir keine Brandbomben in den Laden geworfen kriegen“, sagt Chefredakteur Ömer Erzeren und lacht. Es gibt für ihn kaum einen besseren Ort für ein Projekt, das sich die Überbrückung kultureller Brüche auf die Druckfahnen geschrieben hat. „perșembe ist ein Produkt der Straße“, betont Erzeren. „Auf der Straße findet die Politik statt.“ Seine Zielgruppe aber sind nicht die in sich geschlossenen „türkischen Communities“, wie etwa im Berliner Stadtteil Kreuzberg, sondern die aufgeklärten Deutschtürken, die die deutsche Sprache beherrschen und dennoch ihre kulturelle Identität nicht aufgegeben haben.

„Genau das ist das Problem“, ereifert sich der Chefredakteur: „Es gibt hier zwei separate Öffentlichkeiten, wobei die türkische aus deutscher Sicht wie eine geschlossene, homogene Gruppe wahrgenommen wird. Deutsche und die meisten Türken sind getrennt durch eine Mauer.“ Dass diese Mauer in erster Linie eine Sprachbarriere ist, wissen die Macher von perșembe nur zu gut. Zweisprachig wie die Redakteure, bietet die Zeitung deshalb mal türkische, mal deutsche Texte – je nachdem, welcher Zielgruppe der Artikel jeweils ans Herz gelegt werden soll. Als Beispiel nennt er ein Interview mit Ankaras Botschafter in Berlin. Der spricht mit einem Türken anders als mit einem deutschen Journalisten. Eine gewissenhafte Übersetzung des Interviews ins Deutsche fördert da schon mal Überraschendes zutage.

Das „Organ für Migration“, als das der Geschäftsführer Alper Öktem das Blatt verstanden wissen will, zeichnet sich durch einen unkonventionellen Arbeitsstil aus. Zwei Tische passen in den Raum. An einem sitzt Erzeren, den anderen teilen sich seine vier Redakteure. Eine Glaswand trennt sie vom Zimmer der Redaktionsassistentin. Das Telefon klingelt: „Moment, ich verbinde.“ Dann hält sie den Hörer zu und ruft: „Ömer, der kress report für dich.“ Auf dem Tisch liegen türkische Zeitungen, daneben steht der gläserne Aschenbecher, in den Alper Öktem seine Pfeife ausklopft.

Öktem, der zuvor als Arzt und Radiologe gearbeitet hat, sitzt der Interkulturellen Medien AG vor, deren acht Gesellschafter – sechs türkischstämmige, zwei deutsche – das Projekt mit ihrem Kapital erst möglich machen. 500 neue Abonnements würde er gern gewinnen und gleichzeitig die Auflage der taz um 3.000 Exemplare steigern. Gefragt, ob es für junge Türken attraktiv sei, eine politische Zeitung zu lesen, sagt Öktem: „Sie ist attraktiv, weil sie politisch ist.“

Ömer Erzeren kehrt von seinem Telefonat mit dem kress report zurück, froh, sich endlich der Pizza widmen zu können. Er teilt sie sich mit seiner deutschen Kollegin Antje Bauer: Sie nimmt die Hälfte mit, er die ohne Schinken.