Laube de Luxe

Das war der Sommer, der war: Kunst im öffentlichen Raum. Von Bonn bis Bregenz, von Hamburg bis Leipzig und von Singen bis anderswo dienen künstlerische Events dem lokalen Städtetourismus

von GREGOR JANSEN

Das Phänomen hat viele Namen. Bei Jan Hoet in Gent hieß es diesen Sommer „Over The Edges“, in Hann. Münden „3 Räume – 3 Flüsse“ und in Hamburg „Außendienst“. Bregenz war mit „LKW“ und „Kunst in der Stadt“ dabei, Leipzig setzte auf „neues leben“, und in Siegen war der Titel schlicht „Hier Da und Dort“. Die Liste ließe sich lange fortführen: Es verwundert kaum noch, wie offensiv Kuratoren und Kunstmarketingagenturen die Grenzen des Institutionellen aufbrechen, um mit Kunstevents selbst in der kleinsten Provinz eine Anbindung an die Öffentlichkeit, an den Bürger, zu suchen und zu formulieren. Mittlerweile gehört es zum guten Programm der Kulturindustrie, die Kunst in die Stadt, auf das Land oder die Wiese zu stellen, so als sei das ganze ein mit dem Interesse an Kultur zu verschränkender intellektueller Kaffeefahrttourismus, bei dem keine Heizdecken oder Kochtöpfe, sondern Entertainment, Lebensqualität oder gar politische Bildung angepriesen werden.

Tatsächlich ist die Situation von Kunst im öffentlichen Raum grotesk, wie Martin Warnke bereits zum Berliner Skulpturenboulevard 1987 anmerkte. Damals schrieb der Hamburger Kunsthistoriker, dass es von Seiten der Auftraggeber oder gar des Publikums keinen substantiellen Bedarf nach einer Kunst im öffentlichen Raum gebe. Im Zeitalter der Avantgarden war der Künstler eher außerhalb als innerhalb des öffentlichen Raumes angesiedelt. Entsprechend musste seine soziale Attitüde des Intervenierens nicht unbedingt sozial legitimiert werden. Und auch Walter Grasskamp hatte einige Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass moderne Kunst als Denkmal der kulturellen Hegemonie des Bildungsbürgertums gedeutet werden könne.

Solche, die „Ostereiersuche“ (Catherine David) genannte Ortsproblematik betreffenden Argumente liegen nun gut 13 Jahre zurück. Dabei war es politisch relevant, dass die „Kunst unter Verweigerungspflicht“ (Warnke) stand. Aber wie steht es heute mit diesem Gebot? In den 90er-Jahren legten Kontextkunst und Design-Welten neue Bezugsrahmen der Künstler offen. Begierig wurde die selbstgefällige Kunst der 80er-Jahre belebt, gleichzeitig ergaben sich aber wie bereits in den 60er-Jahren Schnittmengen mit Soziologe, Kultur und Politik, Feminismus, Rassismus, Biologie, Design, Film, Musik, Clubkultur usw . . . In ihnen und mit ihnen erhielt auch die Dienstleistungs- und Eventkultur einen eigenen Stellenwert im Rahmen einer immer weiter ausdifferenzierten Kunst im öffentlichen Raum. Bezeichnende Arbeiten auf den letzten Skulpturprojekten in Münster waren die als Informationsständer genutzten „Kastenhäuser“ von Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt, die Theaterbühne von Rirkrit Tiravanija oder die mobile Bar von Tobias Rehberger.

Interessanterweise kommen aber auch halböffentliche Räume wie die Landesgartenschau in Singen oder die Expo in Hannover nicht mehr ohne Kunst aus, die dann wie die notwendige Garnitur von ortsfernen Drei-Sterne-Kuratoren betreut werden, in Singen von Jean-Christophe Ammann und in Hannover von Kasper König, um die Anziehungskraft des eigentlichen Ereignisses wie ein Geschmacksverstärker zu erhöhen.

Hamburgs Kulturbehörde hat unterdessen gar ein eigenes Ressort für diese kulturelle Stadtplanung eingeführt und sieht sich insoweit auch als Vorreiter des trendigen Eventprogramms allerorten. Womöglich lag’s an Reeperbahn und Hafenstraße, die vom Schmuddelcharakter zur subkulturell-gepflegten Tourismuskultur mutierten, jedenfalls wird hier bis Ende 2001 in drei Projektphasen an „Außendienst“ gefeilt, an Kunst in öffentlichen Räumen, deren Definition der jeweiligen Nutzungsdifferenzierung hinterherläuft. Außen und Dienst ergeben die sinnfällige Bezeichnung einer Indienstnahme von Stadt-Mobiliar und funktionalen Events – von Fiona Tans Schrottautokino bis zur Meteoritenwerkstatt von Thomas Stricker. Die alte Debatte vom Künstler als social worker, Stadtkunstpädagogen oder Urbaner-Raum-Designer darf bemüht werden. Und sie ist notwendig!

Denn interessant ist es überall; die Kunst wie die urbanistischen Probleme liegen sozusagen auf der Straße und auf der grünen Wiese. Ihr politisches oder gar utopisches Potenzial entfaltet die gescheuchte Kunst jedoch kaum, und auch der Bürgerprotest kommt vor den Grabenkämpfen konservativer Bürgervertreter selten zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung. So stellen die „LKW. Lebenskunstwerke“ mit „Kunst in der Stadt 4“ in Bregenz lieber die Sehnsucht nach einer neuen Welt, nach Paradiesen oder Problemlösungen in den Vordergrund, wogegen das urbane Leben und die aus ihm entwickelte autonome Utopie den Hintergrund darstellen. Karl Markus Michel und Diedrich Diederichsen analysieren im Katalog den Jahrhundert-Clinch von Kunst und Leben aus der Tradition, und Diederichsen resümiert: „Alle utopischen und dystopischen Diskurse unserer Gegenwart kreisen um das Netz als einen Ort potentiell endlosen Zugangs, endloser Verfügbarkeit, endloser Demokratien einerseits, endloser Überwachung, endlosen Konsumismus und endloser technogener Repression andererseits.“

Umgekehrt realisierten Grill 5 auf dem Gartenschaugelände in Singen einen kleinbürgerlichen, mietbaren Schrebergarten mit all den liebenswerten Details der Koloniekultur. Pipilotti Rist und Käthe Walser sitzen mit in der Laube und spielen alle Register von Sehnsüchten im zunehmend kommerzialisierten öffentlichen Raum aus – Kunst als Bedürfniserfüllung: Die nächste Grillparty für einen feinen, exklusiven, da mietbaren Geschmack als Highlight inmitten der Normalität des Lebens als Kunstwerk. Wie schön kann die Verschränkung von Kunst und Leben sein! Auf diesem Wege kann jede Stadt genau wie ihre Bürger für 15 Minuten berühmt werden. Offenbar liegt hier viel Potenzial brach, denn die Kunst wird sich im neuen Jahrtausend ihrem Publikum noch weiter öffnen. Während sich Kunstbiennalen bereits als globales Phänomen durchgesetzt haben, geht der Trend im Lokalen zu tourismuskompatibler Sozialkunst.