Ein urlinker Grantler

Die Seegrundstücke sind schon seit den Zwanzigerjahren in den Händen der Städter, aber in Ambach am Starnberger See gibt es tatsächlich noch Bauern. Ein paar von ihnen, ehemals Schulfreunde, hat Sepp Bierbichler, der Nebenerwerbsbauer, gefeierte Schauspieler und Sozialist auf freiem Fuß, zu seinem fünfzigsten Geburtstag eingeladen, vor zwei Jahren.

Aber viel hat er mit den Einheimischen nicht mehr am Hut. Er geht nicht zu ihren Stammtischen, und sie meiden den „Fischmeister“, ein Wirtshaus, das Bierbichler an eine Kooperative vermietet hat. Dort wird am Sonntagmorgen, bevor der erste Gästeschub aus München eintrifft, gegen die verräterische rot-grüne Koalition gehetzt, dass es kracht. Das tut Bierbichler wohl. Er trinkt in großen Zügen Weißbier an seinem Stammtisch in der Ecke, zum halben Preis, wovon auch der Berichterstatter profitiert.

Wir sprechen nicht übers Theater, nicht über Achternbusch, den Weggefährten vieler Jahre, sondern über Politik, speziell über bayerische Politik. „Ich bin“, sagt Bierbichler, „dem Bayerntum verbunden, mit allem. Auch mit der CSU – in tiefster Verachtung. Sie missbrauchen alles Bayerische in übelster Art, auch den Dialekt.“

Wie er Edmund Stoiber, den Ministerpräsidenten, in einem Stück besetzen würde? „Stoiber, das ist eine ausgehungerte Kakerlake, die einmal über die Bühne kriecht. Er hat überhaupt keinen dramatischen Reiz, im Gegensatz zu Strauß. Der Nachwuchs liefert eine schlechte Kopie des Alten, ein lächerlicher Vorgang. Beim Alten war die Korruption ein organischer Vorgang, sie ist gewachsen. Bei Stoiber wirkt alles angestrengt vor lauter Nachahmung. Je größer die Schweinereien bei Strauß waren, desto größer wurde sein Bonus bei der Bevölkerung. Es hieß: Des is a Hund. Die Bayern schätzen den Betrug, wenn er gut gemacht ist. Besonders, wenn die Obrigkeit bluten muss. Hier ist es die Obrigkeit, die betrügt, aber die Leute unterscheiden es nicht mehr. So was meinte Achternbusch, wenn er vom Anarchismus der Bayern sprach, auch dem der CSU-Wähler.“

Also doch Achternbusch. Und Ibsen. „Bei Ibsen gibt es ein Stück, ‚Die Kronprätendenten‘. Der Herrscher will, dass seine Ideen über den Tod hinaus wirken. Also erfindet er ein Perpetuum mobile. So ist das Verhältnis von Strauß zu seinen Epigonen. Das Mobile funktioniert. Aber es läuft leer.“

Bierbichler hat Peter Handke nie kennen gelernt, sie sind nur mal ein paar Minuten wortlos beisammengestanden, an der Wiener Burg. Aber beim Kosovo-Krieg ärgerte ihn, was er als Konformismus der deutschen Intellektuellen, als das Heulen der Journalistenmeute ansah: die Serben als Alleinschuldige, Milošević als neuer Hitler. Deshalb ist er Peter Handke zur Seite getreten.

Besonders hat ihn Joschka Fischer angewidert und dessen Ausspruch: „Wir haben nicht nur gelernt ‚Nie wieder Krieg‘, sondern auch ‚Nie wieder Auschwitz‘ .“ An Claus Peymann schrieb er in einem offenen Brief zu Fischer, dass der sich „auf Auschwitz runtergehungert hat, optisch, und dass er dadurch Wiedergutmachung leisten will; diese Veränderung ist vollständig in seinen Kopf reingewachsen“. Den Satz hat ihm die Zeit-Redaktion herausgestrichen, als sie den Brief an Peymann druckte.

Bierbichler erzählt, er sei in Hamburg und Berlin nach der Vorstellung mit zwei Hüten vors Publikum getreten. In den einen Hut sollte für Bomben und Granaten auf Serbien gespendet werden, in den anderen für Zelte und Medikamente.

Ergebnis: in Hamburg 800 Mark für Hilfe, null Mark für Waffen. In Berlin 450 Mark für Hilfe, 150 Mark für Waffen. Ob das nicht Demagogie war, haltlose Polemik? Natürlich. Polemik muss zuspitzen, muss verletzen. Sie muss den Konformismus aufreißen.

„Haben Sie“, fragt er, „an eine humanitäre Aktion des Westens geglaubt? Der Kommunismus war noch nicht richtig verreckt da unten, das ist der Grund. Sie wollten über Politik reden? Also reden wir über Macht und Geld. Sie meinen, ökonomische Interessen spielen für den Westen auf dem Balkan keine Rolle mehr? Die Gegend ist eben noch nicht reif fürs Investieren.“

Hier spricht der, der sich als „Halbachtundsechziger“ von den Achtundsechzigern im Stich gelassen fühlt und der nach 1989 keine „Wende“ vollzogen hat. Der sich als Nonkonformist fühlt. Und es spricht der Shakespeare-Interpret. Fischer bietet für ihn „ein Bild des Abscheus“. Klingt bekannt.

Bierbichler liebt Christoph Schlingensief, politisches Thesentheater hat für ihn ausgedient. Begeistert schildert er die Containeraktion mit den Pseudoasylbewerbern in Wien. Schlingensief, ein Parasit, der sich bedenkenlos derer bedient, die auf ihn hoffen, der sie wegwirft, nachdem er sie für seine Zwecke ausgepresst hat? „Lächerlich. Das ist die einzige Provokationsstrategie, die heute eine Chance auf Aufmerksamkeit bietet.“

Noch zwei Weißbier. Schauspielerfreunde treffen ein. Jetzt also doch: Theater.