Fundort jeder zweiten Leiche

■ Mehr als nur Kulisse für Krimis: Von den alten Schuppen und Speichern im Hafen sind nur noch wenige erhalten. Denkmalschützer wollen sie für die Nachwelt bewahren

An der Australia-Straße sieht der Hafen fast so aus wie früher: Langgestreckte Hallen mit Ziegelwänden, davor verspielte Häuser mit Türmchen und Loggien, einzelne Kräne auf Stelzenbeinen. Hier im Hansahfen stehen die Schuppen mit den 50er-Nummern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das Entladen von Segelschiffen gebaut wurden. Nach kurzer Zwischenlagerung konnten die Güter damals auf Laster und Züge umgeladen und abtransportiert werden. Gabriele Bohnsack-Häfner und ihre KollegInnen vom Denkmalschutzamt wollen diese Anlage erhalten. „Das ist das einzige Schuppen-Ensemble, das noch intakt ist“, sagt die Ingenieurin. Auf einer Barkasse des Amtes für Strom- und Hafenbau hat sie am Donnerstag Abend den Kulturausschuss der Bezirksamt Mitte zu den Aschenputteln im Hafen geführt.

Denn über den ganzen Hafen verstreut gibt es Gebäude, die die Fachleute vom Denkmalschutzamt für wertvoll halten und für die sie Wege suchen, wie sie zu erhalten wären. „Jeder zweite Krimi, der in Hamburg spielt, lässt seine Leichen hier liegen“, sagt Bohnsack-Häfner über die 50er Schuppen. Von innen wirkten die vier jeweils 24.000 Quadratmeter großen Schuppen erst so richtig beeindruckend.

„Fast könnte man sagen, es sind Kathedralen der Arbeit“, schwärmt die Denkmalschützerin. Die Hallendächer ruhen auf Holzbinder-Konstruktionen mit 35 Metern Spannweite – eine Super-Location für Techno-Parties, wenn da nicht das Hafengesetz wäre, das eine hafenbezogene Nutzung vorschreibt.

Zur Zeit sind die Schuppen ohnehin belegt. „Die 50er-Strecke boomt“, sagt Bohnsack-Häfner. Nach einer Zeit des Leerstands werden jetzt auf fast der gesamten Hallenfläche Güter wie Papier oder Paletten gelagert. Auf diese Weise würden sogar ordentliche Mieten erzielt, sagt Bohnsack-Häfner. Trotzdem will sie vorsorgen für den Fall, dass die Schuppen einmal wieder leer stehen und die Abriss-birne droht. Die DenkmalschützerInnen würden die Schuppen am liebsten in eine Stiftung einbringen, aus der die Erhaltung der Gebäude finanziert würde.

Einstweilen, so berichtet Bohnsack-Häfner, werde ein zu den Schuppen gehörendes Verwal-tungsgebäude mit Hilfe von Leuten aus dem Zweiten Arbeitsmarkt saniert, ebenso wie die Kräne, die am Kai vor den Hallen vertäut sind. Das Verwaltungsgebäude, 1908/1909 entstanden, verfügte erstmals über Sozialräume, in denen die Lagerarbeiter sich umziehen, waschen und essen konnten.

Wer am Ende des Hansahafens links um die Ecke fährt, gelangt zum Lagerhaus G, einem mehrstöckigen, langen Backsteinstein-Bau aus dem Jahr 1902. Auf lange Pfähle gegründet steht er über gemauerten Bögen direkt im Elbwasser. „Es ist ein monumentales Gebäude“, sagt Bohnsack-Häfners Kollege Albert Schätt glücklich. Ähnlich wie bei den Bauten der Speicherstadt, sind die Galgen für die Lasten-Aufzüge an der Fassade mit Hauben überdacht. Im Gegensatz zu einem Schuppen, wo die Waren nur umgeschlagen wurden, sind Lagerhäuser oder Speicher für das Lagern von Gütern über eine lange Zeit und ihre Veredelung gebaut worden, wie Schätt den Abgeordneten erläutert.

In dieser Ecke des Hafens kurz vor der Veddel genießen die Reiher die Einsamkeit – ein denkbar verlassener Ort. Vor 60 Jahren war es ein Ort des Verlassen-Seins: Die Nazis benutzten den Speicher G als Außenlager für das KZ Neuegamme. Hier waren ZwangsarbeiterInnen untergebracht, die in den Keller unter der Wasserlinie schlafen mussten. Für Albert Schätt ein Grund mehr, den Speicher zu erhalten.

Die Leute vom Denkmalschutzamt arbeiten dran. Der Kulturausschuss sei gerne bereit, sie dabei zu unterstützen, verspricht dessen Vorsitzender Mathias Oldhaver. Es sei schon so viel zerstört worden, sagt der SPD-Mann, „auch nach dem Krieg noch“. „Es wird noch mal die Zeit kommen, wo die Leute so etwas in der Wirklichkeit sehen wollen“, prophezeit Gabriele Bohnsack-Häfner – „und nicht nur in Disney-Land“. Gernot Knödler