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: WLADIMIR KAMINER über die Russendisko im Kaffee Burger

Ein Bericht des Initiators

Unsere letzte Tanzveranstaltung im Sommer, die Russendisko „She Loves you“ im Kaffee Burger, fand schon im Vorfeld ein enormes Presseinteresse. Nachdem die kostenlose Wurfzeitung Das Wochenblatt uns interviewt und auf der ersten Seite geschrieben hatte, die Russendisko vermittle irgend so ein Gefühl, als wäre man gar nicht in Deutschland, riefen 2.000 Russendeutsche aus Marzahn an und sagten, dass sie unbedingt kommen wollten.

Die Werbung funktionierte also fabelhaft: Schon um 22 Uhr kamen die ersten Gäste: das Mädchen Swetlana und ihre drei Freundinnen. Swetlana hatte sich gerade verlobt und wollte bei uns den Abschied von ihrem Mädchenleben mit ihren besten Freundinnen feiern. Danach kamen ein Journalist und ein Fotograf von der Weltwoche, die alte Frau mit Korb, die jeden Abend ins Kaffee Burger geht, und ein Mädchen namens Marina, laut eigenen Angaben eine Erotikschriftstellerin aus Italien. Um zwölf kamen die restlichen vierhundert Gäste, etliche blieben draußen stehen, gingen aber nicht weg. Das Kaffee platzte aus allen Nähten. Unsere Kassiererin sagte zu jedem: „Eintritt auf eigene Gefahr“, und musste fünfmal neues Wechselgeld holen. Der neue Hit der russischen Sängerin Angela Barbitsch, die nach vier Jahren in der Klapse wieder freigekommen war und vor kurzem eine neue Platte aufgenommen hatte, sorgte für ausgelassene Stimmung: „Jawohl, jawohl, ich trinke Alkohol“.

Der Platz war zu eng zum Tanzen, dafür aber zum Knutschen ideal. Swetlana küsste sich mit ihren Freundinnen, danach aber auch mit zwei ukrainischen Jungs. Der Fotograf küsste den Journalisten, am Tresen saßen drei Paare eng aneinander – alle knutschten sich. Auch unser DJ wurde mehrmals von fremden Mädchen abgeküsst und einmal sogar in die Hand gebissen. Das Motto des Abends, „She loves you“, schien wirklich zu funktionieren. Die erotische Schriftstellerin aus Italien war sehr beeindruckt und erzählte uns, dass bei ihr in Verona solche Veranstaltung undenkbar wären. In Verona leben nur zwanzig Emigranten aus Russland, das hänge mit der fremdenfeindlichen italienischen Politik zusammen. „So viele lustige Russen haben wir in ganz Italien nicht“, sagte sie. Dann schaute sie sich um. „. . . und so viele lustige Deutsche sowieso nicht.“ Sie half uns beim Einlass und lernte dabei einen schönen Studenten aus Georgien kennen, der genau wie sie viele Sprachen konnte. Sie redeten miteinander erst hebräisch, dann französisch und schließlich italienisch. Anschließend küsste der Student die erotische Schriftstellerin aus Verona, sie verschwanden gegen drei, kamen aber um fünf wieder.

Zu diesem Zeitpunkt lief unsere Veranstaltung völlig aus dem Ruder. Die ukrainischen Boys, die Freundinnen von Swetlana sowie ein belgischer Tourist in kurzen Hosen, mit einer Videokamera in der Hand, tanzten auf den Tischen. Swetlana trank mehrere Flaschen Champagner und jammerte, dass sie bereits um halb acht arbeiten müsse – blieb aber bis zum Schluss. Unsere Befürchtung, dass die Veranstaltung diesmal nie zu Ende gehen würde und wir für immer in einer Zeitschleife namens „Russendisko“ steckten, erwies sich zum Glück als falsch. Pünktlich um sechs Uhr fiel der letzte Gast hinter das Klavier. Beim Rausziehen fanden wir hinter dem Klavier viele nützliche Dinge, u. a. meinen gelben Regenschirm, den Fotoapparat der erotischen Schriftstellerin, die leider bereits weggegangen war, und zwei Schallplatten der Gruppe „Erdlinge“ aus dem Jahr 1978, die uns bei der nächsten Veranstaltung am 29. September bestimmt gute Dienste leisten werden. Vor allem aber am 3. Oktober im Prater, wo wir in Rahmen des „Tags der Abrechnung – einer Bilanz mit Gesang und Tanz“ die „Russendisko“ als Beitrag zum Wiedervereinigungsjubiläum veranstalten.