MECKLENBURG-VORPOMMERN IMITIERT EIN GESCHEITERTES SOZIALPROJEKT
: Jeder hat die Neonazis, die er verdient

Die „Meck-Pomms“ sind dialektisch geschult. Sie wissen, dass der Rechtsextremismus „aus der Mitte der Gesellschaft kommt“, wie Bundestagspräsident Thierse analysierte. Entsprechend kühl gehen Politiker in Mecklenburg-Vorpommern die Herausforderung an und stellen arbeitslose Schiffsbauer und Verkäuferinnen als Sozialarbeiter ein. Nicht nur das Problem – auch die Lösung soll aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Und diese Mitte ist mit einer Quote von 17,3 Prozent arbeitslos. Mit ein bisschen Wohlwollen könnte man behaupten, dass die Politiker in Mecklenburg-Vorpommern sozusagen Vorreiter in Deutschland sind: Wenn Appelle an die Zivilcourage nichts nutzen, wenn schöne Reden gegen Rassismus, in schmucken Strandbädern gehalten, nicht helfen, dann muss sich die Mitte der Gesellschaft ihrer Kinder eben selbst annehmen. Dies klingt interessant.

Solide ausgebildete Sozialarbeiter wären ja auch eine Einmischung von außen, und die ist in der Provinz unerwünscht. Eine Studie der Fachhochschule für Sozialarbeit Magdeburg liefert den Beweis: In ländlichen Regionen des Ostens liegt die Rate der professionell ausgebildeten Jugendsozialarbeiter unter 10 Prozent. Eine konzeptionelle Arbeit darf man von dem Personal nicht erwarten. Wem fundamentale pädagogische Kenntnisse fehlen, wer keine Entgegnungen auf neonazistische Geschichtsverdreher weiß, der steht von Anfang an als hilfloser Helfer im Jugendclub und wird bestenfalls als Bierverkäufer von der Klientel akzeptiert. Ein Gegengewicht zum brachialen Rechtsextremismus kann kein ABM-Sozialarbeiter schaffen. Dies müsste selbst der entlegensten Landesregierung nach dem desaströsen Verlauf des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt (AgAG) klar geworden sein, das die damalige Bundesjugendministerin Angela Merkel zwischen 1991 und 1996 gefördert hat. Mit gut 75 Millionen Mark sollte seinerzeit die rechte Gewalt großflächig eingedämmt werden. Mehr als 130 Projekte wurden installiert. Da ausgebildetes Personal fehlte, ernannte man Arbeitslose kurzfristig zu Sozialarbeitern. Sie widmeten sich den Glatzen mit viel Geduld und wenig Erfolg.

Wer heute noch immer meint, rechten Jugendlichen mit dem Personalstamm eines AgAG-Programms begegnen zu können, sollte wissen, dass dies genauso gut ist wie wegschauen. Für diese Erkenntnis hätte es der turbulenten Sommerdebatte über den Rechtsradikalismus allerdings nicht bedurft. ANNETTE ROGALLA