Mensch versus Maschine

■ Das Ensemble Modern und Dominique My wagen sich beim Musikfest an schwer zu spielende Stücke

Wohl seit es die Kunstmusik gibt, beschweren sich Komponis-ten über das falsche Verständnis ihrer Stücke seitens der Musiker. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kompositionstechniken immer waghalsigere Ausmaße annahmen, eskalierte auch das schwierige Verhältnis zwischen Tonsetzern und Ausführenden. Dieser Konflikt zeitigte unterschiedliche Ergebnisse. Im Rahmen des Musikfestes werden jetzt in der Musikhalle einige davon zu erleben sein.

Als Pre-Concert gibt es im kleinen Saal Kompositionen für selbstspielendes Klavier („Player Piano“) von Conlon Nancarrow. Der Jazzpianist und -trompeter Nancarrow (1912-1997) hatte die Vision von eigentlich unspielbaren Rhythmen und Tempi. Also machte er sich in den 30er-Jahren daran, das mechanische Klavier, das seine Hochzeit bereits um die Jahrhundertwende gehabt hatte, wieder zu beleben. Dieses Instrument ermöglichte es ihm, so kompliziert zu komponieren, wie es ihm gefiel – damit brachte er dann die nächsten vier Jahrzehnte seines mexikanischen Exils zu. Erst seit den 80er-Jahren ist Nancarrows Bedeutung für die Musik des 20. Jahrhunderts weitgehender Konsens.

Das über eine Walze gesteuerte „Player Piano“ wurde mancherorts schon als Vorläufer der digitalen Computermusik bezeichnet, deren Entstehung auf die frühen 1950er-Jahre zurückdatiert. Auch Karlheinz Stockhausen war damals die Unlust der Orchester leid, sich an hyper-komplexen Strukturen abzuarbeiten. Seine daher rührenden Versuche, Klänge synthetisch herzustellen, führten im weiteren zu der Erfindung der elektronischen Musik. Stücke von zweien seiner Schüler werden am Abend in der großen Musikhalle zu hören sein, allerdings ohne Elektronik: Helmut Lachenmanns Mouvement - vor der Erstarrung (1984) ist ein Stück Musique Concrète, das mit der Verfremdung von Volksliedgut arbeitet. Die Gesungene Zeit hat Wolfgang Rihm 1992 als Loblied auf die Virtuosität Anne-Sophie Mutters geschrieben. Rihm wird übrigens im Vorfeld des Konzertes durch Kultursenatorin Weiss den Bach-Preis, den höchsten Musik-Preis der Stadt Hamburg, überreicht bekommen.

Während Nancarrows Player Piano im Nebenraum vielleicht noch einsam vor sich hin spielen wird, soll mit Charles Ives auch im großen Saal einer jener Quertöner Beachtung finden, wie sie Amerika weitaus häufiger als das streng an musikalische Traditionen gebundene Europa hervorgebracht hat. Ives hatte um 1900 angefangen, seine polyrhythmischen Phantasien auf dem Papier auszuleben. Sein Schicksal beschränkte sich zunächst auf einfaches Nicht-Gespielt-Werden, erst ein halbes Jahrhundert später versuchten sich Wagemutige wie John Cage an Ives' Stücken, die dann gar zu höheren (Pulitzer-)Ehren kamen.

Zur Abrundung des Abends soll dann auch Nancarrows Studies noch von echten Menschen interpretiert werden: dem Ensemble Modern unter Leitung von Dominique My.

Man wird also scheinbare Gegensätze erleben können: tote amerikanische Freestyler und lebendige, strenge Europäer; lebendige Musiker und eine tote, aber äußerst agile Klavier-Maschine.

Andi Schoon  

heute, 18.30 Uhr, Pre-Concert: Nancarrow, Studies for Player Piano; 20 Uhr, Ensemble Modern/Dominique My: Nancarrow/Ives/Rihm/Lachenmann; 22 Uhr: Erinnerungen eines Konzertgängers mit Werner Burkhardt (SZ), Musikhalle