„Abgestempelt“

■ Antisemitische Postkarten im Museum für Kommunikation Hamburg

„Lass't keinen Jud' in Eure Mitte. Borkum soll frei von Juden sein!“ Nicht etwa aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt dieses Zitat, sondern von einer judenfeindlichen Postkarte, die ein Tourist 1903 verschickte. Um die Jahrhundertwende warb Borkum offen damit, „judenfrei“ zu sein. Antisemitische Postkarten gelangten von der Nordseeinsel in die ganze Welt. Reiseführer warnten Juden dringend davor, die Insel zu besuchen, da sie mit Übergriffen zu rechnen hätten.

Der „Borkumantisemitismus“ ist nur ein Beispiel für frühe antisemitische Tendenzen, die das Museum für Kommunikation Hamburg in der Ausstellung Abgestempelt kritisch beleuchtet. 18 Themenblöcke präsentieren judenfeindliche Stereotype, ausführlich kommentiert. Schmale Gänge, schwarze Wände und grelles Neonlicht schaffen eine bedrückende Atmosphäre. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, das Medium der Postkarte steht im Mittelpunkt. Grundlage für die Ausstellung ist die Sammlung Wolfgang Haneys. 1924 geboren, wurde der Sohn einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters selbst Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. In den letzten zehn Jahren hat er über 1000 judenfeindliche Postkarten zusammengetragen. 400 davon sind nun in der Schau zu sehen, die das Jüdische Museum Frankfurt in Zusammenarbeit mit dem Museum für Kommunikation Frankfurt und der Marburger „Arbeitsgemeinschaft Rassismus und Antisemitismus in visuellen Medien“ erarbeitet hat.

Der Vorwurf des Ritualmordes findet sich auf den Karten ebenso wie die Verspottung durch Tiermetaphern. Juden wurden als Wucherer und Halsabschneider diffamiert. Die Bildpolemik kennzeichnete sie durch Hakennasen, wulstige Lippen und unproportionierte Gestalt. Postkarten trugen entscheidend dazu bei, judenfeindliche Bilder in den Köpfen zu verankern. Dass diese Vorstellungen bis heute wirken, macht ein Umfrageergebnis deutlich, das im ersten Ausstellungsraum zu lesen ist. Noch 1974 beantworteten 45% der Deutschen die Frage „Können Sie Juden am Aussehen erkennen?“ mit „Ja“.

Kerstin Wiese

bis zum 18. Februar 2001, Museum für Kommunikation, Stephansplatz 5; Katalog: 380 S., 39 DM