Life is a bar, not a beach

Im Osten von Barbados ist die Karibik noch urig, echt und untouristisch. Warum also an dieherrlichen Strände mit azurblauem Meer gehen, wo’s doch in den alten Rumshops viel netter ist?

von MARC BIELEFELD

Buffy redet wirklich wenig. Manchmal sagt er „true“ oder murrt ein „Ja, ja“ zu einem der Männer vorn auf den Tresenhockern. Aber das war’s dann auch schon. Ist eh zu heiß zum Palavern. Außerdem sündigt, wer zu viel quatscht. Es ist nachmittags, der warme Wind weht durch die kleine, offene Holzbar und raschelt ab und zu an dem verblichenen Poster mit der Blondine aus der Rumwerbung drauf. Ansonsten ist nur der alte Ventilator zu hören. Stetig ächzt er unter der Decke vor sich hin.

Doch plötzlich knallt’s. Peng! Die Männer um den Tisch springen auf, als Buffy seinen letzten Dominostein auf die Platte schmettert. Dann trinkt er seinen Rum in einem Zug leer und bricht in wildes Gefeixe aus. Zwei Dreier, vier Vierer und zum Schluss zwei Sechser. Was für eine Kombination! Domino, das auf Barbados traditionelle Inselspiel, beherrscht Buffy, seitdem er als kleiner Purks nackt und barfuß durch die kleine Siedlung Inch Marlow stolperte – aber so viel Glück hatte er noch nie. Lokalrunde! Und schon jubeln und pöbeln alle durcheinander, lachen und trinken und diskutieren über taktische Varianten als ginge es um hohe Politik. Verrücktes Barbados. Schwarzes Barbados.

Nur selten verirren sich Touristen hierher – in den Osten der Insel. Fast alle Fremden, die am Grantley Adams International Airport landen, besteigen die Transferbusse in den Westen der Insel. Ins Reich der Ressorts, der Mauern und Betonbalkons. Dahin, wo die Partykatamarane durchs Meer kreuzen und an den Poolbars Rum mit regenbogenbunten Schirmchen im Glas getrunken wird. Auf die Katalogseite von Barbados. Nur wenige dagegen fahren in den Osten. Dahin, wo Kühe neben Zuckerrohrplantagen weiden, Kinder Cricket mit Brettern spielen und die Fischer keine Zähne im Mund, dafür aber massenweise Fliegende Fische im Netz haben. Barbados’ wilder Osten.

„Buffy’s Bar“ ist ein Teil davon. Als sozialer Knotenpunkt liegt sein Rumshop, der eigentlich nur ein Verschlag auf ein paar Quadratmetern sandigem Boden ist, mitten in Inch Marlow, einer der vielen alten Schwarzensiedlungen im Osten. Jeder weiße Tourist, den es hierher verschlägt, wird noch begrüßt wie ein anständiger Mensch. Mit einem Grinsen, einem Winken oder einem kreolischen Kauderwelsch, dessen Worte man nicht versteht. Aber dessen Bedeutung einen einlädt. Zu einem Drink. Oder auch zu mehreren.

Buffy zerhackt einen großen Eisblock in glasgerechte Brocken und schiebt wortlos die Rumbuddel über den Tresen. Wie die Hühner auf der Stange sitzen die anderen Männer auf den Hockern und starren zum Fernseher unter der Decke. Es ist heiß. Auf CNN, das über Satellit reinkommt, interviewt Larry King gerade Julia Roberts, die nach einem Witz in hysterisches Gegacker ausbricht. Keiner sagt was. Dann bricht Buffys Stimme mürrisch die Hitze. „Fowl caca white an’ tink e lay egg!“, kommentiert er, eher gelangweilt, und steckt sich, warum auch immer, einen giftgrünen Kamm senkrecht in die kurzen Krausen. „Ein Huhn scheißt Weißes und denkt, es hat ein Ei gelegt.“ Kulturkritik à la Buffy, trocken wie der Putenmist draußen in der Sonne.

Es ist Sonntag, und nebenan schmettern sie Gospels in der Dorfkirche. Doch da gehen fast nur die Frauen hin. Die Herren sitzen auf den Veranden ihrer Hütten. Quatschen mit den Nachbarn oder blicken einfach stundenlang auf die Straße. Die jüngeren frisieren ihre Rasenmäher, zocken Poker unter Palmen oder genehmigen sich schon mal einen. Die ganz jungen ärgern die älteren, scheuchen die Hühner durch die Gegend oder hopsen nach irgendeinem undurchschaubaren System kreischend auf kleinen Quadraten rum, die sie mit Kreide auf die Straße gemalt haben. Die ganz normale Wochenendidylle in Inch Marlow.

Unten am Strand leuchtet das Meer. So blau und grün und groß, dass jeder Maler seinen Aquarellkasten wegschmeißen würde. Und so blau und grün und groß, dass die Rastafaris, die mit den bunten Wollmützen und den dicken Zöpfen, mal wieder mystisches Zeug erzählen. Von Gott und dem Segen der Natur. Und vor allem vom „Ohschahn“ – dem Ozean. John, sehr schwarz und sehr muskulös, kann stundenlang von seinen pantheistischen Märchenwelten erzählen. Davon, dass wir alle den Wogen entstammen. Und dass Mutter Meer uns eines Tages alle wieder holen und in Fische verwandeln wird. John isst darum schon jetzt nur Fisch. Nie Fleisch. Ist nicht gut, sagt er nur – „no do no good to you“. Das alles sagt er wirklich aus tiefster Überzeugung und zieht dabei so kräftig an seinem Joint, dass seine Wangen zu Kratern werden. „Jah, Mann!“

Und das Meer, „de big ol’ mama sea“, sei unendlich hier unten, meint John und starrt zum Horizont. Ganz lange und ohne zu zwinkern. Nun, er hat nicht ganz Unrecht. Barbados liegt, wie aus dem Gürtel des Antillenarchipels herausgerissen, allein gelassen im Meer. Erst 160 Kilometer weiter westlich liegt St. Vincent, 225 Kilometer südlich Tobago. Bis Europa ist nur Wasser. Barbados ist die östlichste Insel der Karibik. Und wer noch dazu den Osten der Insel besucht, wird nicht nur geografisch zum „Außenseiter“. Auch touristisch landet man hier im Katalog-karibischen Off. Dafür aber mitten in Buffys Rumshop, im echten Leben sozusagen.

Neulich kam ein Vertreter vorbei, der ihm, es war noch recht früh morgens, einen neuen Kühlschrank verkaufen wollte. Aber der Vertreter kam nicht weit. Buffy sagte wie immer recht wenig, guckte skeptisch auf die bunten Katalogseiten, wo Energiespartabellen und Sonderpreise mit großen roten Sternen versehen waren. Er bot dem armen Mann einen Ananassaft an und sagte, dass ein neuer Besen zwar besser fege, der alte aber die Ecken besser kenne. Nun sind Besen keine Kühlschränke, aber der Vertreter hatte verstanden. Just in dem Moment, als der Kühlschrankvertreter die Bar verließ, riss Buffy seinen linken, alten Badelatschen von seinem dicken braunen Fuß und schmiss ihn laut fluchend nach einem der Hühner draußen, das es wagte, seinen Schnabel um die Ecke in die Bar zu stecken. Mit Hühnern hat es Buffy nun mal nicht. Die Hühner machen die Frauen. Immer am Wochenende, abends. Mit Reis, Bohnen und etwas Zitrone. Buffys Bar ist nicht nur eine Bar. Buffys Bar ist ein Supermarkt, ein Rat-Haus, eine Psychiatriepraxis, eine Dichterstube, eine Abhängehalle für alle, ein karibischer Wienerwald, ein Sozialamt, eine Lebensschule. Buffys Bar ist die Welt im Kleinformat. Hier passiert alles.

„Aber hier“, meint Buffy, „hier ist’s wirklich schön.“ Es ist schon spät, nach Mitternacht, und sein dicker, schmutziger Finger fuhrwerkt auf einer kleinen Barbadoskarte rum, die auf die Etiketten der 0,4-Liter-Rumflaschen gedruckt ist, die sie hier trinken. Mit „hier“ meint Buffy Bathseeba, ein Fleck tief im Osten der Insel. Dann kommt Swoopy aus dem Schatten des Hinterzimmers angeschlurft, um zu sehen, was Buffy da quatscht. Er guckt auf die Flasche mit der Karte und Buffys dickem, braunem Finger drauf und sagt: „Mount Gay, guter Rum. Von Barbados. Brauner Rum. Der will einen nie so richtig töten. Aber trink nie den weißen. Den trinken die Fischer unten in Bathsheeba. Der tötet dich.“ Und dann sitzt man einfach da, und der Wind fährt einem über die Haut.

Wann der Supermarkt morgen aufmache, möchte man noch wissen, bevor man geht. Buffy sagt wie immer nichts. Erst wenn du schon halb aus der Tür bist, guckt er dich noch mal kurz an und antwortet: „Wenn Buffy ihn öffnet.“

Hinweis:Wo die Fischer keine Zähne im Mund, aber massenweise Fische im Netz haben