Irgendwo zwischen Ost-West und Nord-Süd

Mahoma Mwangulus Lebensgeschichte liest sich wie ein Who’s who jüngerer afrikanischer Geschichte. Dabei hat er die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland Ost verbracht. Rassismus war auch schon in der DDR zu spüren. Angesichts des Pathos internationaler Solidarität wurde er versteckt

von URSULA TRÜPER

Sein erster Kontakt mit deutschem Boden ist eher schmerzhaft. Als Mahoma Mwangulu im Januar 1960 in Leipzig ankommt, rutscht er auf dem gefrorenen Boden aus und fällt hin. Seine Kameraden lachen, aber Mahoma erklärt: „Ich habe jetzt den Boden geküsst, das heißt, dieser Boden hat mich akzeptiert!“

Kwame Nkrumah hat er persönlich gekannt, Julius Nyerere, Kenneth Kaunda und natürlich den malawischen Diktator Hastings Banda. Die Lebensgeschichte von Mahoma Mwangulu liest sich wie der Who’s who der jüngeren afrikanischen Geschichte. Aber den größten Teil seines Lebens hat er in Deutschland verbracht, davon ein Vierteljahrhundert in der DDR.

Mahoma Mwangulu stammt aus Malawi. Als junger Mann erhält er ein Stipendium für ein Studium in einem sozialistischen Land. Mwangulu entschied sich für die DDR: „Ich wollte in die DDR gehen, weil die DDR als Bestandteil Deutschlands anfing, den Sozialismus aufzubauen. Ich wollte lernen, wie sie diese neue Entwicklung machen würden, als ein Land, das so kapitalistisch, so faschistisch war. Ich dachte, ich habe sehr viel zu lernen von diesem Land, weil auch wir in Zukunft in Afrika den Sozialismus aufbauen.“

Mwangulu und die anderen afrikanischen Stipendiaten lernen zunächst Deutsch am Lumumba-Institut in Leipzig. Und er lernt eine junge Studentin kennen und verliebt sich. Er erlernt nun in Rekordzeit die deutsche Sprache, seine Freundin wird schwanger. Die beiden beschließen zu heiraten, aber das ist nicht einfach. Mahoma weiß, dass sein Vater strikt gegen eine Ehe mit einer Deutschen ist. „Der kannte die Geschichte Deutschlands mit dem Faschismus zu gut und hatte, ehrlich gesagt, ziemliche Vorurteile gegen dieses Land.“ So verzögert sich der Heiratstermin immer wieder. Als er dann endlich zustande kommt, ist es höchste Zeit: Im Oktober 1961 heiraten Mahoma und seine Freundin, im November kommt seine Tochter zur Welt. Zielstrebig zieht Mahoma nun sein Studium der Wirtschaftswissenschaften durch.

Seine Situation als Afrikaner in der DDR der 60er-Jahre schildert Mahoma so: „Man denkt ja immer, dass in dieser Zeit alles so gut war. Die Wahrheit ist so, dass die Regierung sehr gut zu uns Ausländern war. Wir waren sehr gut geschützt. Aber an der Universität, als ich meine Diplomarbeit machte, haben einige von meinen Kommilitonen gesagt: ‚Ach, das ist nur eine afrikanische Eins.‘ Da merkte ich, dass es doch eine rassistische Tendenz in der DDR gab. Wir waren drei Afrikaner an der Karl-Marx-Universität, und wir waren alle ziemlich gut. Ich habe mich oft gefragt, ob sie nicht einfach neidisch waren.“

Es bleibt nicht bei Sticheleien. Nach Abschluss des Studiums will Mahoma nach Malawi zurückkehren. Zuvor aber gibt er ein Abschiedsfest. In der Kneipe, in der die Feier stattfindet, sitzen an einem Nebentisch auch acht Kommilitonen von der Universität. Mahoma verlässt das Fest ziemlich früh. Auch die Kommilitonen am Nebentisch verlassen die Kneipe. 50 Meter von der Kneipe entfernt tauchen die acht plötzlich aus dem Gebüsch auf und prügeln auf ihn ein. Mahoma nimmt einen Stein auf und donnert ihn einem der Angreifer ins Gesicht. Der ruft um Hilfe. Das ist Mahomas Glück. Denn die Hilferufe hört man im nahe gelegenen Polizeirevier. Die Polizei nimmt die acht Schläger fest. „Die Polizisten haben dann gefragt: ‚Warum haben Sie ihn angegriffen? Er war doch euer Kommilitone.‘ ‚Ja, aber er hat eine deutsche Frau geheiratet, die ist eine Hure‘, sagte der eine. Ein anderer sagte: ‚Ich habe einen Hass auf Ausländer.“ Der Vorfall wird komplett vertuscht.

Es gibt keine öffentliche Gerichtsverhandlung für die Angreifer. Mahoma kommt nicht ins Krankenhaus, sondern wird zu Hause verarztet. „Sie haben mich so bearbeitet, dass ich innerhalb von zwei Tage wieder aussah, als ob niemand mich geschlagen hätte, weil ich doch nach Malawi zurückkehren musste. Dann haben die vom ZK mich gebeten: „Wenn Sie zu Hause sind, sprechen Sie bitte nicht von dieser Sache. Wir wollen gute Beziehungen zu Malawi haben. Wenn man das hört, wird das unseren Beziehungen zu Malawi schaden.“ Mahoma schweigt.

In Malawi wird Mwangulu als Experte für Wirtschaftsplanung eingesetzt, aber er kann sich unter dem Antikommunisten Banda nicht lange halten. Als er gerüchteweise erfährt, dass er ermordet werden soll, beschließt er, nach Sambia zu fliehen. Mit einem kleinen Fiat legt er in drei Tagen 100 Meilen zurück – ohne Straße. Danach ist das Auto nur noch ein Haufen Schrott, aber Mwangulu ist in Sicherheit. Von der Hauptstadt Lusaka aus fliegt er weiter nach Tansania. Dort, in einem Flüchtlingslager bei Daressalam, leben bereits 10.000 Flüchtlinge aus Malawi. Mwangulu beteiligt sich an der Organisierung des politischen Widerstandes gegen Banda, dann betreibt er energisch seine Wiederausreise in die DDR. Als er nach Malawi ausgereist war, hatte er sich von der DDR-Regierung versprechen lassen, wieder zurückkehren zu dürfen, wenn er politische Schwierigkeiten in Malawi bekommen sollte. Deshalb erhält er nun relativ problemlos eine Wiedereinreiseerlaubnis. Während er auf seine Ausreise wartet, trifft er Che Guevara, der mit 60 kubanischen Kämpfern auf dem Weg nach Zaire ist. Mwangulu kennt Che bereits von Berlin und warnt ihn, in einem fremden Land ohne Sprachkenntnisse eine Revolution anzuzetteln. Er sollte Recht behalten – bereits nach zwei Monaten sind die Kubaner unverrichteter Dinge wieder in Daressalam.

1969 kommt Mwangulu zum zweiten Mal in die DDR. Er wird nun Gegenstand der paternalistischen Fürsorge der DDR-Regierung. Die besorgt nicht nur ihm ein Stipendium und einen Studienplatz, sondern auch seiner Frau einen Job und der Familie eine Wohnung in Berlin. Mwangulu promoviert und arbeitet danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Ökonomie, als Dozent an der Schule der Solidarität – einer Schule für Journalisten aus der Dritten Welt – und als Übersetzer. Er verdient gut, mehr als seine Professoren.

Bald bekommt Dr. Mwangulu die Kehrseite dieses Paternalismus zu spüren. Als sich 1979 seine Frau von ihm scheiden lassen will, müssen das beide – sie sind SED-Mitglieder – vor dem ZK rechtfertigen.

Mahoma Mwangulu beginnt nun, eigene Wege zu gehen. Er lernt systemkritische Freunde kennen. Von den afrikanischen Werkstudenten, die er betreut, leiht er sich die Werksausweise aus. Niemandem fällt auf, dass das schwarze Gesicht auf dem Ausweis nicht seines ist. Auf diese Weise lernt Dr. Mwangulu viele Betriebe von innen kennen und macht sich so seine Gedanken über deren Effizienz. Frühstückspause, Zigarettenpause, Toilettenpause . . . „Von 8 Stunden Arbeitszeit, habe ich errechnet, wurde nur 4 Stunden effektiv gearbeitet.“

In den 80er-Jahren tritt Dr. Mwangulu auf einer internationalen Konferenz von sozialistischen Ökonomen in Potsdam auf und kritisiert öffentlich die Mängel des DDR-Systems. Er erntet großen Beifall bei den afrikanischen und lateinamerikanischen Gästen, aber eisiges Schweigen bei den DDR-Ökonomen.

Schon seit längerer Zeit gilt Dr. Mwangulu bei der Regierung als eine Belastung der Außenpolitik, denn die DDR hatte nie die Hoffnung aufgegeben, Malawi werde sie anerkennen. Nun ist das Maß voll. Mwangulu darf nicht mehr an der Schule der Solidarität arbeiten und keine neuen Studenten mehr betreuen. Schließlich wird er nach Westberlin abgeschoben, wo er politisches Asyl beantragt. Für Flüchtlinge aus dem Ostblock ist dies Anfang der 80er-Jahre kein Problem. Aber Mwangulu wird nicht richtig heimisch im Westen. Er findet keinen Job, und er hat Heimweh nach seiner Familie. Dass er zwischendurch immer mal wieder für wenige Tage nach Ostberlin darf, macht alles nur noch schlimmer. So fällt er aus allen Wolken, als am 9. November 1989 plötzlich sein Sohn in die Küche stürmt. „Ich dachte, er sei über Ungarn in den Westen geflohen, und sagte: ‚Wie kannst du das machen, deine Geschwister werden Schwierigkeiten bekommen!‘ Er sagte: ‚Papa, ich bin offiziell und frei hierher gekommen. Die Mauer ist weg! Hast du keinen Fernseher?‘ Im Verlauf der nächsten Tage finden sich auch der zweite Sohn und seine Tochter ein.

Heute arbeitet Mahoma Mwangulu am Bildungs- und Aktionszentrum Dritte Welt (BAZ) in der Kreuzberger Oranienstraße als Lehrer für Deutsch und Suaheli. Mittlerweile hat er sich dazu durchgerungen, seinen malawischen Pass abzugeben, so dass er die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen konnte. Und die besitzt er nun seit dem 31. Januar 2000 –nach über 40 Jahren Aufenthalt in Deutschland.