Von Stadtflucht keine Spur

Befragung zeigt: Die Anwohner der Karl-Marx-Allee sind zufrieden mit ihrem Kiez – doch der Senat sieht das anders

Zentrale Lage, viel Grün, Spielplätze, große Zufriedenheit mit Wohnung und Wohnumfeld – die knapp 10.000 Bewohner der Wohngebiete beiderseits der Karl-Marx-Allee erteilen ihren Quartieren der 60er-Jahre-Moderne gute Noten. Ganz anders beurteilten vor vier Jahren allerdings die Verfasser des senatseigenen „Planwerks Innenstadt“ beide Gebiete: Per neobarockem Raster und massiver Nachverdichtung sollte dort erst „Identität gestiftet“ werden.

Das allerdings scheint gar nicht nötig zu sein. Zu diesem Ergebnis kommt das „StadtBüro Hunger“, das vom Bezirk Mitte beauftragt worden war, soziologische Untersuchungen mit daraus folgenden Planungsvorschlägen zu erarbeiten. Die Ergebnisse liegen nun vor: Normale Fluktuation (mit fast zwanzig Prozent Zuzügen in den letzten sechs Jahren), gemischte Bevölkerungsstruktur, geringer Leerstand, ein „Stabilitätsanker in der im Umbau befindlichen Mitte der Stadt“, so Stadtplaner Gerd Hunger. Deshalb soll das Gebiet als attraktive, familienfreundliche innerstädtische Wohnstadt mit moderaten Mieten und hohem Grünanteil erhalten, soziale Infrastruktur und öffentlicher Raum aufgewertet werden.

Thomas Koch, Mitglied des Stadteilausschusses, sieht sich als Bewohner von Stadtplaner Gerd Hunger „gut beobachtet“. „Dies ist kein Wohngebiet, das Probleme hat, die durch einen Quartiersmanager ausgeräumt werden müssten.“ Er selbst, ein vor drei Jahren zugezogener junger Bayer, sei schließlich ein Beweis für die „Integrationsfähigkeit“ des Quartiers.

Auch die Wohnungsbaugenossenschaft Mollstraße bestätigt, kein Leerstandsproblem in den Plattenbauten. Interessant auch, was die Bewohner an ihrem Gebiet am meisten stört: nämlich der Leerstand des Café Moskau und die seit Jahren vor sich hin rottende Investruine an der Mollstraße.

Zudem ergaben die Befragungen, dass ausgerechnet das „Planwerk Innenstadt“, das doch eigentlich als Mittel gegen die Stadtflucht gedacht war, nicht wenige der überdurchschnittlich bleibewilligen Bewohner an Umzug denken lässt: Sie befürchten weniger Grün, mehr Straßen und mehr Verkehr. Baustadtrat Thomas Flierl sieht in dem Entwurf einen „Formelkompromiss“ zum Planwerk und möchte ihn dort aufgenommen sehen. Ausgespart werden musste allerdings die Karl-Marx-Allee selbst, denn die Straße befindet sich in der Zuständigkeit des Senats – und der plant dort zuerst einen Wettbewerb. ULRIKE STEGLICH