Reichsgründer Otto war ein Ossi

Ob Minnesang, Bauhaus oder Walter Ulbricht: In der „Geschichte Mitteldeutschlands“ gibt es nichts, was es nicht gibt. Jetzt startet das ehrgeizige MDR-Langzeitprojekt mit einer neuen Staffel in 38 Folgen bis 2004, jeden Sonntag um 20.15 Uhr

von GUNNAR LEUE

Damals war’s, 1992, als viele Ostdeutsche nicht schlecht in die Röhre guckten, als sie sich fernsehanstaltmäßig plötzlich in Mitteldeutschland wiederfanden. Im Zuge der DDR-Abwicklung hatten die neuen Länder Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als ihre ARD-Sendeanstalt den MDR bekommen.

Mitteldeutscher Rundfunk, das hatte für manche Ex-DDRler schon irgendwie einen komischen, wenn nicht revanchistischen Klang (zum Glück stellte der Potsdamer ORB klar, dass das ostdeutsche Sendegebiet keineswegs in Polen liegt).

Heute hat man zumindest eine Vermutung über die seinerzeitige Namensgebung: Der MDR musste dadurch sieben Jahre später nicht lange argumentieren, warum er mit immensem Aufwand eine Geschichte Mitteldeutschlands ins Programm hievt. Das heutige Länderdreieck habe als einstiges Mitteldeutschland Deutschland und Europa geprägt, begründete MDR-Fernsehdirektor Henning Röhl vorm Start der TV-Reihe im Oktober 1999 das 1996 begonnene Projekt. Er verwies darauf, dass Reichsgründer Kaiser Otto I. in Magdeburg begraben sei, die hohe Kunst des Minnegesangs sich teilweise hier abgespielt und die friedliche Revolution in Leipzig angefangen hätte. Dass auch Walter Ulbricht – ein glorreicher Vertreter der eher niederen Kunst des Minnesangs auf die geliebte DDR – aus der Ecke kommt, erwähnte er nicht, aber solch weniger rühmliche Helden aus der Gegend sollen im Geschichts-TV natürlich auch nicht ungewürdigt bleiben.

So imposant wie die Geschichte Mitteldeutschlands gerät auch ihre fernsehmäßige Nachzeichnung. Da nicht weniger als 38 Folgen zu je 45 Minuten geplant sind, wird die Serie wahrscheinlich bis ins Jahr 2004 reichen. Nachdem 1999 die ersten sechs Teile ausgestrahlt wurden, beginnt am 8. Oktober die zweite Staffel mit weiteren sechs Folgen, die jeweils sonntags 20.15 Uhr laufen. Sie beleuchten u. a. den Kriegsschauplatz Mitteldeutschland, das Industriezeitalter, Auswandererschicksale und Universitätsgeschichte(n), denn praktisch gibt es eben nichts, was es in der Geschichte Mitteldeutschlands nicht gibt. Die neue Zeit in Mitteldeutschland zeigt sich übrigens am deutlichsten in der Aufbereitung der alten. Die TV-Reihe ist Teil eines Multimediaprojekts, zu dem neben einem Begleitbuch und einer CD-ROM auch eine umfangreiche Online-Datenbank gehört.

Im Intenet befindet sich laut Helfried Spitra, MDR-Programmchef Kultur und Wissenschaft, ein einzigartiges Archiv zur mitteldeutschen Geschichte, das seit vier Jahren mit Fakten zu Personen, Ereignissen und Orten gefüttert wird. Die Fernsehdokumentationen als sicherlich populärste Teile dieses Infopakets sind im Vergleich zur ersten Staffel noch einmal aufgepeppt worden. So spricht Schauspieler Gunter Schoß nicht mehr nur im Hintergrund, sondern er trat jetzt auch vor die Kamera, um historische Ereignisse und Abläufe zu präsentieren.

Durch die Zugabe dieser Unterhaltungselemente wollen die Sendungsmacher möglichst an den letztjährigen Erfolg anknüpfen, von dem die MDR-Leute offenbar selbst sehr überrascht worden wurden. Immerhin fanden die ersten Folgen trotz härtester Konkurrenz auf anderen Kanälen im Schnitt 700.000 Zuschauer. Nicht zuletzt das hat Henning Röhl offensichtlich überzeugt, die MDR-Heimatkunde auch dem ARD-Hauptprogramm anzuempfehlen. Allerdings nicht sofort und nicht in Gänze. Die Reihe sei natürlich in erster Linie für das MDR-Programm konzipiert, so Röhl, schon wegen des auf 38 Teile veranschlagten Umfangs. Einige könne er sich aber auf jeden Fall im ARD-Programm vorstellen. Schließlich habe Mitteldeutschland national, international und überhaupt viel vorzuweisen (Weimarer Republik, Flugzeugbauer Junkers, Bauhaus usw.), was bei manchem im Westen nur allzu sehr in Vergessenheit geraten sei. Zur Erinnerung wird der TV-Geschichtsabriss nach seiner kompletten Austrahlung im MDR auf alle Fälle ab 2005 auf 3sat gesendet werden. So prestigeträchtig das ehrgeizige Multimedia-Projekt für den MDR ist, so kostenträchtig ist es auch. Die im Verlauf von sechs bis acht Jahren entstehenden Kosten von „sicher 10 Millionen Mark“ (Röhl) dürften vermutlich der Hauptgrund sein, dass es bei 38 Folgen bleiben wird. „Denn an Stoff mangelt es nicht, da könnten wir 100 Folgen drehen“, weiß Programmchef Helfried Spitra.

Beruhigend zu wissen für den Gebührenzahler, dass dies selbst den vor Glück über so viel Geschichtsträchtigkeit Mitteldeutschlands berauschten MDRlern zu viel des Guten wäre.