Geschmiegt in die Hülle des Denkens

Wie man in den Kopf hineinruft, schallt es heraus: Puppentheater aus Chile und Frankreich bei den Theaterwelten

Manchmal, wenn das Theater etwas von der großen Welt erzählen will, macht es sich ganz klein. Dann zeigt uns ein einziger Mensch in einem winzigen Zimmer mehr als ein Spektakel auf riesiger Bühne zu zeigen vermag.

Der Schauspieler Jacques Fornier sitzt am Schreibtisch als ein alter, sich in die Hülle seines Denkens und Forschens schmiegender Mann. Zwischen engen Bücherwänden liest er und denkt gleichzeitig nach über die Geschichten und Figuren seiner Lektüre. Und wie er so in sein Gedächtnis hineinruft, verschmitzt lächelnd wie ein faustischer Prospero, kommen die gedachten Figuren heraus. Auf den Tisch, der mit beweglichen Segmenten ausgestattet ist, auf denen sie als filigrane, in ihren Gelenken bewegliche winzige Figuren hin- und herfahren. Sie kommen aus der Versenkung hervor – und tauchen bei Bedarf in diese wieder hinab.

Da streiten sich zwei winzige Gelehrte über und um die Welt, indem sie einen Globus zwischen sich hin- und herschieben. Da fahren ein Minotaurus oder ein Eierbecher vorbei, ein Skelett oder ein Totenschädel tauchen auf, dazu tropft Wasser, Hunde bellen, Chorgesang ertönt von fern. Hier ist alles Atmosphäre und Poesie. Aus der Tischdecke wird eine Serviette, und zum Schluss wandert eine Figur mit der Weltkugel wie Atlas über die Bühne des Tisches. Aus dem zwischen all diesen Figürchen so mild übermächtig groß erscheinenden Schauspielerkopf flüstert es immer wieder heraus, zu den Figuren wie zu uns Zuschauern, die wir zunächst hinter einer Rupfenwand stehend schauen mussten, bis wir uns auf die wenigen Stuhlreihen im winzigen Spielzimmer setzen durften.

Der in Chile aufgewachsene argentinische Marionettenspieler Ezechiel Garcia-Romeu denkt in seinem 50-minütigen Stück „Aberrations du Documentaliste“ recht unangestrengt über die Welt nach und braucht dazu mit seiner Theaterwerkstatt Théâtre Granite aus Belfort nur zwei Puppen- und einen Schauspieler. Auch „La Troppa“ aus Santiago de Chile spielen mit Figuren und Marionetten. Zugleich aber sind die drei Darsteller, die Agota Kristofs Roman „Das große Heft“ auf eine Jahrmarktsbuden-Bühne bringen, selber Marionetten.

Mit abgehackten, mechanischen Bewegungen, mit lautmalerisch krächzenden oder kicksenden Stimmen erzählen sie Kristofs Roman von den beiden Zwillingen, die ihren eigenen Weg durch eine kalte Welt von Gewalt und Aussichtslosigkeit suchen, als ein buntes, komisches Spektakel mit szenisch plakativen Hinweisen auf den Faschismus. Das schaut man sich mit all seiner Virtuosität und warmen Spielfreude eine Zeitlang fasziniert an, doch trotz des wunderschönen Schauspielerspiels mit dem und im Marionettenspiel wirkt das letztlich doch ein wenig harmlos. Weder scheint sich die Gruppe wirklich dem erbarmungslosen Roman von Agota Kristof auszusetzen noch spielt sie mit ihren Mitteln selbstkritisch.

Zwei Gastspiele bei den Theaterwelten, zwei Beispiele für den ästhetischen Reichtum des Figurentheaters. Man schaut sich beide gern an, auch wenn man ein wenig amüsiert ist über einen Festivalbetrieb, der immer wieder Theaterformen in weiter Ferne entdecken muss, ohne die durchaus ebenbürtigen Beispiele solchen Theaters in Halle, Erfurt oder gar in der Berliner Schaubude überhaupt wahrzunehmen. HARTMUT KRUG

Théâtre Granit: „La Méridienne“ bis 13. 10. und „Lampe sur la terre“ vom 11. bis 14. 10., Schiller-Werkstatt, Budapester Str. 110, Charlottenburg