Hinterbänkler im Einsatz

Obwohl die Gegner des FC Bundestag ein Leumundszeugnis vor Spielbeginn bringen müssen, gehen die Parlamentarier ohne Bedenken ins morgige Spiel gegen die Drogenhilfe Tannenhof

von JÜRGEN SCHULZ

Als Kapitän müsste Klaus Riegert alarmiert sein über den Zustand seiner Fußball-Mannschaft. „Jeder trainiert für sich alleine, um fit zu bleiben“, erzählt der Schwabe aus Göppingen, jedoch ohne seinen Mitspielern daraus einen Vorwurf zu machen. Der Atem der Abwehr ist kurz geworden. Die Bäuche des Mittelfelds sind runder. Und der Sturm hat den Standfußball zur Perfektion gebracht. Als Entschuldigung kann der 41-Jährige, der einst beim Verein für Ballsport Süßen in der Bezirksliga kickte, anführen, dass sich sein Team von Berufs wegen immerhin um das Wohl von 80 Millionen kümmern muss. Da mangelt es eben manchmal an Freizeit.

Riegert ist Spielführer des FC Bundestag. „Wir verstehen uns als sportliche Botschafter des Parlaments.“ Etwa 15 Mal tritt die Auswahl der Bundestagsabgeordneten pro Saison, die von März bis November reicht, gegen auserwählte Teams an. Für gewöhnlich sind es Betriebsmannschaften oder Kollegen von Volksvertretungen in Europa. Im Juni belegten die Deutschen sogar den dritten Platz bei den inoffiziellen Europameisterschaft für Volksvertreter. Und das fast ohne Training. Allerdings nahmen am Turnier in Finnland außer dem FC Bundestag nur noch Österreicher, Schweizer und eben die Finnen teil, die dann das Turnier gewannen. So gesehen wurden die Bundestägler im fußballerischen Vergleich europäischer Demokraten nur Vorletzte.

Entgegen tief sitzenden Vorurteilen scheuen deutsche Parlamentskicker keineswegs den direkten Vergleich mit dem gemeinen Volk. Um sich jedoch vor rachsüchtigen Wählern zu schützen, die ihrer Politikverdrossenheit im Stadion womöglich mit Blutgrätsche und Monstertackling allzu freien Lauf ließen, muss jeder potenzielle Spielpartner vorab einen gutbürgerlichen Leumund benennen. Bei der Berliner „Drogenhilfe Tannenhof e.V.“, die morgen im Jahn-Sportpark um 18 Uhr die Vorder- und Hinterbänkler des Bundestags bestürmen darf, sind für den FCB-Kapitän Bedenken fehl am Platz. „Wir versuchen, verschiedene gesellschaftliche Gruppen anzusprechen“, sagt Christdemokrat Riegert und denkt dabei schon an die nächste Legislaturperiode, die er wieder als ordentliches Mitglied des Sportausschusses erleben möchte.

„Der Tannenhof genießt einen Vertrauensvorschuss“, lässt Riegert wissen. Wenn nur die personellen Sorgen im Parlamentskader nicht wären. „25 bis 30 Spieler im Alter bis zu 62 Jahren“ umfasse der Kader, erklärt der Schwabe, wobei die großen Volksparteien den Stamm der Mannschaft stellen. „Die Fluktuation ist groß, was aber nicht an internen politischen Differenzen liegt“, heißt es. Bislang hat sich auch noch niemand darüber beschwert, wenn der Mann von der PDS Rechtsaußen spielen muss oder die CDU immer nur im Tor steht. Wer dennoch die Umkleidekabine mit dem Hohen Haus verwechselt und polemisiert oder nachtritt, riskiert einen Ordnungsruf von Kapitän Riegert, der als Kriminaloberkommissar mit Disziplinarmaßnahmen keine Probleme hat. Überdies: „Politik wird aus der Mannschaft heraus gehalten.“ Manchmal beim Bier danach ist es mit dieser Maxime nicht mehr weit her.

Der größte Gegner der Bundestagsauswahl ist allerdings der Aufstieg ihrer Mitglieder in der Parteienhierachie. „Wenn einer Staatssekretär, stellvertretender Fraktionschef oder gar Minister wird“, sagt Riegert, „dann ist er für uns verloren.“ Jahre ist es her, dass Joschka Fischer, Theo Waigel oder Peter Struck für Deutschland dem Ball nachjagten. Zumindest Fischer beweist Mannschaftsgeist, indem er sich pflichtgetreu bei Riegert entschuldigt, wenn er mal wieder keine Zeit findet, die Fußballschuhe zu schnüren. Fischer ist ja sowieso vom Mannschaftssport auf den Lauf gekommen. Da hat man es einfacher mit der Freizeitgestaltung.