Adjektiv-Inferno

Kampf gegen die Mächte der Konformität: Tristan Egolfs furioser Debütroman  ■ Von Volker Hummel

Wenn der Erzähler anhebt, sein orales Monument für John Kaltenbrunner zu errichten, sind die Spuren der nahezu biblischen Schlacht, die die Kleinstadt Baker irgendwo im Corn Belt der USA heimgesucht hat, noch allgegenwärtig. Der Erzähler erhebt seine atemlose Stimme, um das Gedenken an Kaltenbrunner nicht den Schmalzköppen, Fabrikratten und Dorftrotteln zu überlassen, die 99 Prozent der Stadtbevölkerung ausmachen. Statt dessen gilt es, die Taten eines radikalen Außenseiters festzuhalten, der wie eine Geißel Gottes über die Gemeinde hereinbrach und sie an den Rand der Apokalypse führte.

Alles nimmt damit seinen Anfang, dass der erst sechsjährige John Kaltenbrunner die Aufzucht von Hühnern jedweder Form von sozialer Interaktion vorzieht. Aus dem brachliegenden Hof, den er allein mit seiner Mutter bewohnt, macht er in nur drei Jahren die modernste Geflügelfarm des Tals. Klar, dass die Proleten-Kids den „Hühnerhannes“ regelmäßig windelweich schlagen, schließlich ist in Baker jedes Verhalten, das von der täglichen Routine abweicht, ein Freibrief zum Zuschlagen. Doch John weiß sich zu helfen, indem er kurzerhand die Farm des ärgsten Schlägers ansteckt. Erst im Kampf gegen die widerlichen Methodistinnen scheitert er, die ihn und seine dahinsiechende Mutter um ihren gesamten Besitz bringen.

Nach dem Zusammenbruch der Farm und Kaltenbrunners erster Konfrontation mit den Mächten der Konformität vergehen ein paar Jahre: Knast, Arbeitsdienst, Fabrikarbeit. Doch schließlich landet John bei den „Haldenschraten“, den verachteten, am Existenzminimum dahinvegetierenden Müllmännern. Schnell werden aus den 22 Fußabtretern der Gemeinde unter der Führung des charismatischen Neulings selbstbewusste Streikende. Schon bald häufen sich die Mülltüten in Bakers Seitenstraßen, bis schließlich Truthahngeier, Bussarde, Wanderratten, Möwen, Kojoten, Wildhunde und Erdferkel wie biblische Plagen über den Ort herfallen.

Doch jede Wiedergabe verblasst vor dem ungeheuer komischen und gewalttätigen Inferno, das Tristan Egolf auf den letzten Seiten seines Romans entfacht. Innenansichten, Dialoge, psychologische Finessen sucht man vergebens in diesem Buch, das eher einem monumentalen Tall Tale gleicht, jenen am Lagerfeuer erzählten, uramerikanischen Lügengeschichten, in denen jedes Detail im grellsten Licht ausgeschmückt wurde. Wo andere Erzähler zwei Adjektive benutzen, stapelt Egolfs anonymer Chronist sechs oder mehr übereinander. Atemlos folgt man jeder noch so bizarren Wendung des Erzählers, der mit seinem Erinnerungsmonument der Ahnengalerie der amerikanischen Literatur einen Helden hinzufügt, der es an Nonkonformismus locker mit Huck Finn und Käptn Ahab aufnehmen kann.

Der erst 29jährige Tristan Egolf, selber aus einem kleinen Kaff in Pennsylvania stammend, zog nicht nur in die große Stadt, sondern gleich nach Paris, um seinen Debütroman zu verfassen. Er arbeitete in einer kleinen Mansarde, Geld verdiente er als Straßenmusikant, und als ob das noch nicht kitschig genug wäre, hatte er auch noch eine Begegnung, wie sie kein Schriftsteller zu erfinden sich trauen würde. Für das in keine literarische Schublade passende monströse Manuskript hatte Egolf schon über 50 Ablehnungen von überwiegend amerikanischen Verlagen erhalten, da traf er auf der Straße die Tochter des Schriftstellers Patrick Modiano. Der war begeistert von dem Roman, und überzeugte seinen Verlag Gallimard davon. Nach Frankreich, Großbritannien und den USA entwickelt sich das Buch nun auch in Deutschland zum Kultbuch, woran die kongeniale Übersetzung von Frank Heibert großen Anteil hat.

Lesung heute, 20 Uhr, Café Lib-resso, Edmund-Siemers-Allee 1

Tristan Egolf: Monument für John Kaltenbrunner, übersetzt von Frank Heibert, Suhrkamp, 502 S., DM 49,80