Streik statt News

Italiens Verleger wollen die Online-Revolution nutzen, um die Privilegien der Nachrichtenjournalisten aufzuweichen

ROM taz ■ „Jetzt schalten wir um zu den Nachrichten“, verkündet der Showmaster routiniert wie jeden Abend kurz vor acht, dann setzt er nach: „Die Nachrichten sind im Streik.“ Umgeschaltet wird trotzdem. Eigentlich ein Widersinn, die Ausstrahlung eines im Streik befindlichen Nachrichtenprogramms – doch Italiens Fernsehjournalisten zelebrieren diesen Widersinn mit Bravour.

Statt Lilli Gruber im feschen Lederkostüm, statt des etwas lasziv dreinblickenden jungen Sprechers mit seinem Dreitage-Bärtchen saß da an den letzten beiden Tagen ein News-Nosferatu am Pult, das blasse Gesicht ungeschminkt hinter dicken Brillengläsern versteckt. Mit monotoner Stimme verliest er die Verlautbarung: Zwei Tage Streik in Fernsehen und Radio habe der Journalistenverband beschlossen, deshalb gebe es News nur „in reduzierter Form“, als Fünf-Minuten-Kurzprogramm. Auch der Verdacht, hier säße ein Streikbrecher, wird sofort ausgeräumt: „Vom Redaktionsausschuss autorisiert“ sei er zu seinem Tun. Das besteht darin, garniert mit häufigen Versprechern im Fernsehen Radionachrichten zu verlesen, als erste natürlich die Streikforderungen der TV- und Zeitungsjournalisten.

Ihnen geht es darum, endlich den Widerstand der italienischen Verleger gegen einen neuen Tarifvertrag zu brechen, der vor allem eine bessere Absicherung für Online-Redakteure und freie Mitarbeiter böte: Für die Freien gibt es so revolutionäre Forderungen wie das Recht, 60 Tage nach Ablieferung eines Beitrags auch bezahlt zu werden – in Italien keine Selbstverständlichkeit. Und für die Online-Mitarbeiter soll deren Anerkennung als Journalisten überhaupt erst erstritten werden.

Denn Journalist zu sein ist in Italien kein Beruf, sondern ein Standesprivileg. Ganz wie Apotheker, Anwälte oder Ärzte sind die Journalisten in einer Kammer organisiert, dem „Ordine dei giornalisti“. Rein kommt nur, wer in Nachrichtenredaktionen arbeitet – selbst ein Redakteur vom RAI-Kulturprogramm zum Beispiel hat keine Chance, sondern darf sich bloß „programmista“ nennen, „Programmmacher“. Ein Unterschied mit Folgen: Die Journalisten haben private Versicherungs- und Rentenfonds, von denen andere nur träumen.

Jetzt aber nutzen die italienischen Verlagshäuser die Internet-Revolution, um alte Sicherheiten über den Haufen zu werfen. Die Printmedien stagnieren, mehrere Blätter sind in einer schweren Krise (von der gerade geschlossenen linken Unità zum rechten römischen Il Tempo), hunderte „giornalisti“ stehen auf der Straße – zugleich aber boomen die Online-Redaktionen, besetzt mit Nachwuchskräften ohne Tarifvertrag. Und in den traditionellen Medien wird immer mehr Arbeit an die überreichlich zur Verfügung stehenden „Freien“ delegiert.

Jahrelang war das den fest angestellten Redakteuren ziemlich egal; hochmütig blickten sie herab auf Freie und „programmisti“. Doch mittlerweile geht die Furcht um, der „giornalista“ könne zum Exoten werden, zum Auslaufmodell in der deregulierten Welt der neuen Medien.

Denn die Verleger mauern nach Kräften, bieten ein bisschen mehr Sicherheit für die Freien und verlangen dafür einen Lohnverzicht der Festen. Eine „historische Lektion“ wollten die Verleger ihren Mitarbeitern wohl erteilen, stellte der Journalistenverband verbittert fest und kündigte gleich weitere zehn Kampftage an. Die traurige Gestalt auf dem Bildschirm, die die Notnachrichten aus dem bestreikten Studio verliest, wird demnächst wohl zum festen Gast der italienischen Familien.MICHAEL BRAUN