Der Ajatollah in der Einbahnstraße

Teheran hat keine erstrangigen Highlights, und die Öffentlichkeit ist noch immer männerbestimmt, aber der aufmerksame Flaneur beobachtet, dass die Dinge in der quicklebendigen iranischen Hauptstadt längst in Bewegung geraten sind

von LUDWIG WITZANI

Zugegeben: Schön ist Teheran nicht. Ein graubraunes Häusermeer ohne jede markante Silhouette – das war der erste Eindruck, den man während des Landeanfluges auf den Ajatollah-Chomeini-Airport von Teheran erhielt. Der zweite Eindruck war nicht minder erstaunlich: Kaum war das Flugzeug auf dem Rollfeld gelandet, griffen alle Frauen wie auf Kommando zu ihrem Tschador. Graue, schwarze, blondierte, rote, lange oder kurze Haare verschwanden unter dunklen Tüchern. Bildschöne Iranerinnen, die soeben noch mit dem Steward geflirtet hatten, junge Mädchen und ehrwürdige Großmütter, sogar Touristinnen, legten ihre Umhänge an und traten kurz darauf sorgfältig verschleiert vor die Passkontrolle. Als ständen sie vor einem Beichtstuhl.

Noch erstaunlicher jedoch war der dritte Eindruck. Wo man Horden schiefmäuliger Tugendwächter erwartet hätte, die nur darauf warteten, jeden Ungläubigen mit inquisitorischen Verhören zu quälen, knallte mir ein freundlicher Beamter ohne großes Federlesens den Stempel in den Pass. Lässig an seinem Tee nippend winkte mich der Zollbeamte durch.

Es wäre natürlich gelogen, wenn man behaupten würde, dass man sich in Teheran vor touristischen Sehenswürdigkeiten kaum noch retten könnte – um ehrlich zu sein: Außer dem iranischen Nationalmuseum gibt es in Teheran überhaupt keine erstrangigen Highlights zu besichtigen. Es ist egal, ob man die Enghelab Avenue herunterläuft, im Bazar herumstöbert oder sich unter dem Azadi Monument in den Schatten setzt, überall wird man das Gleiche sehen: eine merkwürdig unprägnante aber quicklebendige Stadt, eine orientalische Metropole ohne das malerische Ambiente von Kairo oder Istanbul aber mit erheblich mehr Verkehr und einer Bevölkerung, deren männliche Hälfte locker in Turnschuhen und Jeans durch die Gegend läuft, während der weibliche Teil sich komplett verschleiert durch die Straßen bewegt.

„Wenn eine Iranerin in den Raum kommt kann man die Lichter löschen, so hell strahlt ihre Schönheit“, behauptete dereinst der iranische Liebeslyriker Hafiz – eine charmante Lobpreisung vergangener Tage, die in der frommen Gegenwart allerdings bedeutet, dass man sich noch eine Zeitlang mit der Zimmerbeleuchtung wird behelfen müssen. Immerhin kann der aufmerksame Flaneur auf der Motahhari Avenue oder der Taleghani Street beobachten, dass die Dinge in Bewegung geraten: Rot wie die Rosen von Shiraz leuchten die Lippen mancher Bazarbesucherin, immer mehr kesse Locken lugen unter den Kopftüchern scheinbar beiläufig hervor, und sogar die langen schwarzen Umhänge, ursprünglich zur ästhetischen Nivellierung alles Weiblichen entworfen, haben sich unversehens zum Material der modischen Gestaltung entwickelt.

Bis auf weiteres aber ist die Öffentlichkeit in Teheran noch eindeutig männerbestimmt. Zehn Jahre nach dem Ende des ersten Golfkrieges sind die Riesenplakate mit den Schlacht- und Opferszenen aus dem iranisch-irakischen Krieg noch immer nicht aus dem Erscheinungsbild der Städte verschwunden. Gleich ob die Bilder siegende, sterbende oder bereits im Paradies befindliche Helden zeigen – das überlebensgroße Konterfei Ajatollah Chomeinis ist stets dabei. Man wird in ganz Teheran keine Moschee, kein Regierungsgebäude, keinen öffentlichen Platz oder Bazareingang finden, auf die nicht der Revolutionsführer und Staatsgründer mit einer derartigen Trauermiene auf die Angehörigen seines Volkes niederblickt, dass man sich unwillkürlich fragt, ob die Iraner darüber nicht depressiv werden müssen.

Das ist natürlich viel zu kurz gedacht. Der grimmige Gesichtsausdruck des Ajatollah und das Lebensgefühl des Iraners verhalten sich etwa ebenso umgekehrt proportional zueinander wie die öffentliche Parteipropaganda der SED und das alltägliche Leben der Menschen in der ehemaligen DDR: Während die flächendeckend eingesetzten kommunistischen Mobilsierungsparolen den Eindruck erweckten, das Volk habe 24 Stunden am Tag für das Gemeinwohl gerackert, weiß man heute, dass es sich gerade im Schatten dieser Parolen recht behaglich leben ließ. Mit der Leichenbittermiene des Ajatollah und der Befindlichkeit seines Volkes verhält es sich genauso: Würde man im Angesicht der Trauerfalten des hochverehrten Staatsgründers mutmaßen, das ganze Volk greine von morgens bis abends, wird unterhalb der großen Chomeini-Plakate genauso gelacht wie anderswo.

Wenn man den offiziellen Statistiken glauben darf, geht es sogar nun schon seit einigen Jahren langsam aber stetig wieder aufwärts. Die furchtbaren Wunden, die der Krieg gegen den Irak geschlagen hat, sind zwar noch immer nicht verheilt, doch die aufgeputschte Hektik der revolutionären Gründerjahre ist dabei, einer wohltuenden Alltäglichkeit zu weichen, in der der Iraner wieder das sein kann, was er am liebsten ist: ein rechtschaffener und familienbezogener Mensch mit einem erstaunlichen Vorrat an Geduld, die allerdings in dem Augenblick verschwindet, in dem sich der Iraner hinter das Steuer seines Fahrzeuges setzt.

Gerade mal acht Pfennige pro Liter zahlt der Iraner in seinem ölreichen Heimatland für einen Liter Benzin, und wer wird sich unter diesen Umständen wundern, dass im Land der Ayatollahs sowohl die Ökosteuer wie das Drei-Liter-Auto wahrscheinlich noch länger werden auf sich warten lassen als die Emanzipation der iranischen Frau. Dem Umstand, dass sich das Fahrzeugaufkommen in den letzten Jahren verdoppelt hat, die Gesamtlänge des Teheraner Staßennetzes aber im Wesentlichen gleich geblieben ist, begegnet der iranische Autofahrer mit Kaltblütigkeit.

Dass Teheran die Welthauptstadt der Einbahnstraßen ist, hat dagegen eher mentalitätsgeschichtliche Gründe, denn Linksfahren gilt im Iran als Zeichen von Unterwürfigkeit. Deswegen fährt der stolze Normaliraner denn natürlich auch rechts, wenn links alles frei ist, und der noch Stolzere überholt noch rechter, so dass sich die Verkehrsverantwortlichen schließlich nicht mehr anders als durch die konsequente Einrichtung von Einbahnstraßen zu behelfen wussten. Um ganz sicher zu gehen, dass nicht der eine oder andere Heißsporn trotzdem die Einbahnstraßen in der verbotenen Richtung durchbraust, hat man hier und da neben Einbahnstraßenschilder das Bildnis eines besonders streng dreinblickenden Ajatollah Chomeini positioniert. Das genügt.

Für die Pahlewi-Shahs schließlich wurde das im Vergleich zu Isfahan und Shiraz noch relativ gesichtslose Teheran im 20. Jahrhundert das soziale Experimentierfeld, auf dem die Blaupause eines radikal modernisierten Irans getestet werden konnte. Bekanntlich ist das Experiment fehlgeschlagen: Die Slums von Teheran wurden der Kessel, in dem, von Mullahs und Bazaris hochgeköchelt, sich der revolutionäre Sud zusammenbraute, der zum Staunen der Welt in den Jahren 1978 und 1979 das Pahlewi-Regime hinwegfegte.

Die islamische Revolution hat zwar keineswegs alles verändert, sagen die Iraner, aber bei der Umwidmung der Moscheen, der Plätze und Straßen haben die neuen Machthaber in Teheran ganze Arbeit geleistet. Die Paläste des Shahs wurden in Museen umfunktioniert, und die ehemalige amerikanische Botschaft, die während der Geiselnahmen im Jahre 1979 im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stand, firmiert heute als „Museum der US-Spionage“.

Im „Khazar See Hotel“ wird immer dann, wenn ausländische Touristinnen im Gästehaus logieren, nicht nur die ganze obere Etage für die Männerwelt gesperrt, sondern auch noch ein vertrauenswürdiger Iraner mit einem dicken Knüppel auf der Treppe postiert, um jeden, der auch nur versehentlich in die Nähe der Damenbleibe vordringt, wie einen räudigen Inkubus davonzujagen. Die jungen Frauen, die sich im „Khazar See Hotel“ einquartieren, sind zufrieden – hoch über den Dächern Teherans können sie ganz ungestört von Machos, Anmachern und Ausbremsern einen persischen Tee trinken und in Vita Sackville-Wests zauberhafter Reiseerzählung „Eine Frau unterwegs nach Teheran“ die Sätze lesen: „Asien ist nicht Europa, und jedes Land hält andere Gaben bereit, die man schätzen lernen muss.“ Wie wahr.