Hundert Liter Zweisamkeit

Im schmucken Oberbayern entzweit eine böse Freibieraffäre die Kreisligagrößen SC Rohrenfels und SV Ludwigsmoos. Donnerstag geht es vor’s Landgericht. Vorher trafen sich die Elfen auf dem Platz

aus Rohrenfels HEIKE HAARHOFF

Mit dem Fußball ist es wie mit der Liebe. Und so ist Günter Kraus der Appetit selbst auf hausgemachte Spätzle vergangen. Nicht, dass es der Wirt persönlich nähme. 25 Jahre sind eine lange Zeit. Da darf ein bisschen Weltschmerz ruhig sein. Und groß waren sie, die Zeiten! 25 Jahre hat Günter Kraus (33) beim SV Ludwigsmoos in der Kreisliga gespielt, stolz und souverän, und mit einem Verein wie dem SC Rohrenfels, der ewig und drei Tage ganz unten in der A-Klasse herumstümperte, ja mei, mit dem, sagt Kraus, „setzten wir uns doch gar nicht auseinander“.

Bis zu jenem Tag, da sich Ludwigsmoos und Rohrenfels wider Erwarten in der gleichen Kreisklasse wiederfanden. Und die Rohrenfelser im Frühjahr den Ludwigsmoosern diese unselige „Freibier-Affäre“ (Neuburger Rundschau) anhängten. Weswegen Spielertrainer Günter Kraus an diesem Donnerstag, 19.10., erstmals im Leben das Landgericht Ingolstadt betreten wird.

Und jetzt ist ihm auch noch die Hauptstadtpresse auf den Leib gerückt. Sie will, wenige Tage vor dem Prozess, die erste spielerische Wiederbegegnung der verfehdeten Clubs seit Bekanntwerden der Affäre nicht verpassen. Die örtliche Zeitung wird das „Duell der Erzrivalen“ zum „Spiel der Woche“ adeln.

Es geht um 100 Liter Freibier. Genauer gesagt: um den Vorwurf, die Ludwigsmooser hätten in der vergangenen Saison ein Spiel absichtlich und für 100 Liter Freibier vergeigt, was wiederum den Rohrenfelsern beinahe den Klassenerhalt vermasselt hätte. „Schmarrn“, sagt Günter Kraus. Und es quält ihn, dass dieser Streit bei dem Besuch von auswärts der einzig bleibende Eindruck von seiner schönen Heimatregion bleiben könnte, und so fährt er vor dem Spiel extra Umwege durch die barocke Altstadt der Kreisstadt Neuburg über die schmucken oberbayerischen Dörfer entlang der Donau. „Die müssen’s kennen, um zu versteh’n.“ Wie es kommen konnte zu so viel Schmarrn.

Der begann um die Zeit, da in den bayerischen Dörfern Gameboys, Fitnesscenter und Kickboards Einzug hielten und ihm, dem Ludwigsmooser Trainer, die Fußballjugend ausspannten. Erst kam der Nachwuchs unregelmäßig zum Training. Dann kollidierte samstägliches Kampftrinken mit sonntäglichem Spieleinsatz. Schließlich entdeckten die paar verbliebenen Ehrgeizlinge, dass größere Vereine ihnen sogar noch Geld zahlen. Der Abstieg in die Kreisklasse war unvermeidlich. Günter Kraus seufzt. Es war die Zeit, da der SC Rohrenfels in sein Leben trat.

Dieser SC Rohrenfels, der den Aufstieg in die Kreisliga doch bloß schaffte, weil er einen mächtigen Sponsor hat: den Kempfle Max, 47, Chef einer Küchenmöbelfirma, der in Rohrenfels nicht nur flächendeckend Verkehrsschilder mit der Aufschrift „Kempfle-Küchen“ eingeführt hat und das größte Anwesen im Ort besitzt und Fabrikhallen bis an die Sportplatzgrenze heran, sondern der sich auch mal Spieler von auswärts leistet. „Der Kempfle ist für Rohrenfels, was der Schröder für Deutschland ist“, sagt ein Mitarbeiter.

Günter Kraus parkt vor dem Rohrenfelser Vereinsheim. Vieles lässt er sich nachsagen. Nicht aber, ein kungelnder Säufer zu sein. Freibier-Affäre. Pah! Er geht in die Kabine. Zieht sich um. Neulich hat er sich das Genick verrenkt, aber dass er an diesem Tag mitspielen wird, ist Ehrensache. Es gibt den Prozess, sicher. Aber was zählt, ist auf’m Platz.

Anderl aus Rohrenfels und Girli aus Ludwigsmoos versprechen ein faires Spiel, „mir san unparteiisch, mir hocken scho fuffzehn Joahr nebeneinand’, was hier abgeht, des is a Streit, den a’gzettelt der Kempfle hat“. Der überschreitet Minuten später die Grenze vom Firmengelände zum Sportplatz, sein Blick fällt kurz auf Günter Kraus. Keine Regung. „Wer mich grüßt, den grüß ich auch“, lässt er die Umstehenden wissen. Die Zeiten sind schlecht: Ludwigsmoos steht auf dem vorletzten, Rohrenfels auf dem letzten Platz. Wer heute verliert, sollte nach ganz unten denken: Abstieg, A-Klasse.

Anpfiff. Ludwig Staudigl hat es schwer. Er ist der Torwart von Ludwigsmoos, ein hochgewachsener, kräftiger Kerl, der sein Tor hütet wie ein Wachhund seinen Zwinger, aber ewig kann er das nicht durchhalten, zumal ihm keine Verschnaufpause gegönnt wird: Es ist, als hätten sich die Mannschaften darauf geeinigt, dass ihr Spielfeld im Grunde nur aus dem Ludwigsmooser Strafraum besteht. Bis zur Halbzeit schlägt Ludwig Staudigl sich wacker. Dann reicht es ihm. „Geht’s raaannnn!“, feuert er seine Leute an. Hohn und Spott vom Kempfle Max vom Zuschauerrand: „Wahrscheinlich gibt’s in Ludwigsmoos kein Freibier mehr, und deswegen strengt sich keiner mehr an.“ Denn seine Vermutung, „dass da was geflossen ist, die gilt natürlich weiterhin“. Sein Beweis: Die Klage der Luwigsmooser gegen ihn auf Widerruf. „Nur Betroffene bellen.“

Kempfles Kronzeuge ist der Rohrenfelser Manfred Fenderle. Dessen Schwager („Ludwigsmooser, aber trotzdem nett“) soll im Frühsommer auf die Frage, wie man so haushoch verlieren kann, nur „Freibier“ geantwortet haben. Nur ein Scherz? Das blieb unklar. „Wir wollen keinen Streit in der Familie.“

Und den hätte es vermutlich auch nie gegeben, hätte tags darauf nicht die regionale Postille Sport Report „aus den bloßen Vermutungen“ des Kempfle Max diese böswillige Tatsachenbehauptung gemacht. „Ich bin falsch zitiert worden“, zetert der Kempfle Max.

Dass der Sport Report-Redakteur das Gespräch mitgeschnitten hat und auf der Kassette neben viel bayerischem Kauderwelsch ganz klar der Satz „Das ist eindeutig, dass die nach dem Spiel Freibier getrunken haben“ zu hören ist, stört ihn nicht. „Kann ja sein, dass ich das am Telefon so gesagt habe. Aber was zählt, ist, wie ich es gemeint habe“. Und weil das nach solcherlei Berichterstattung empfindlich gestört war, hat der Kempfle Max flugs das Sport Report-Abonnement gekündigt, und zwar pauschal für alle Rohrenfelser. Er verstummt. Tor in der 53. Minute, Tor in der 63. Minute, Tor in der 79. Minute. Alle für Rohrenfels.

Torwart Ludwig Staudigl ist verzweifelt: „I versteh’s net!“ Abpfiff. Man trottet vom Platz. Die Rohrenfelser zum großen Fest in Richtung Vereinshaus, die Ludwigsmooser in Richtung Straße. Wort- und grußlos. „Verdient gewonnen“, murmelt Günter Kraus und steigt in seinen Wagen. Nein, essen mag er immer noch nichts. Es ist eine Sache, die Schmach der Niederlage wegstecken zu müssen – eine andere ist diese ehrenrührige Affäre.

Wenn der Kempfle Max, sagt Kraus, seine Behauptungen nicht zurücknehme, gehe es nicht nur um Widerruf, nein, dann werde er ihm ein Strafverfahren anhängen. Und alle seine Spieler von Ludwigsmoos würden vor Gericht aussagen. Freibier? Pah! „Donnerstag“, sagt Günter Kraus, „Ingolstadt“.