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: Vom flächendeckenden Gefühl, in einem Diskurs ohne Zentrum zu sitzen

„20.30 Uhr, Tisch vier, ich bestell dir ein Taxi“

Als es gegen Wochenende ans Fazitziehen ging, zuckten eigentlich alle mit den Schultern. Viele Gesprächspartner dachten kurz angestrengt nach, keinem wollte recht was einfallen. War eigentlich irgend etwas gewesen? So wie im vergangenen Jahr der Doppeltriumph von Reich-Ranicki und Grass? Im Jahr davor die Debatte um den neu entstandenen Tätigkeitsbereich des Literaturagenten? Oder vor drei Jahren die heißen Gerüchte und manifesten Untergangsfantasien rund um die Konzentrationsprozesse im Verlagswesen?

Nein, ein Thema, das man gleichsam wie ein Motto über die diesjährige Frankfurter Buchmesse stellen könnte, hat es dieses Jahr nicht gegeben. Vielleicht hätte es der Streit rund um Michael Kumpfmüller werden können oder sogar sollen. Aber das war schon alles vorher verfrühstückt. Der tapfere Versuch von Matthias Politycki, Stephan Wackwitz, Georg Klein und Ulrike Draessner, via Internet-Feuilleton Perlentaucher.de im Grabenkrieg gegen die Kritikerschaft Geländegewinne zu verbuchen, ist (Sorry, folks!) nach munterem Beginn bald versandet. Und so wird es also ab morgen eine Buchmesse 2000 gewesen sein, die möglicherweise nur wenig Spuren in unserem lieben, kleinen Literaturbetrieb hinterlassen wird.

Es sei denn, man begreift sie als erste Buchmesse eines neuen Typs. Hinweise, dass sie so etwas tatsächlich ist, gibt es zuhauf. So griff das postmoderne Gefühl, sich mitten in einem Diskurs ohne Zentrum zu befinden, flächendeckend um sich. Auch die Beflissenheit, mit der sich fast alle Verlagsleute unter der Hand dafür entschuldigten, dass auf dem jeweiligen Empfang auch eine Lesung auf dem Programm steht („Aber kurz, garantiert!“), lässt sich dahingehend verstehen. Es differenziert sich eben alles aus. Bei einer Lesung geht es um das Buch; bei einem Empfang aber um das Event, die anderen Gäste und das Büffet. Man soll diese Dinge, diese Ansicht setzt sich durch, nicht mehr vermischen. Mag sein, dass manche Schriftsteller es als narzisstische Kränkung empfinden, so dezidiert nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Die intelligenteren unter ihnen haben sich damit abgefunden, lassen sich für die paar Tage von ihren Pressedamen willig entmündigen („20.30 Uhr, Tisch vier, ich bestell dir ein Taxi“) und sind sich im Klaren darüber, dass es ernsthaftere Gelegenheiten des Miteinander-ins-Gespräch-Kommens gibt als ausgerechnet in Frankfurt. Wie ja überhaupt eher davon abzuraten ist, sich bar jeder ironischen Strategien auf das Abenteuer Buchmesse einzulassen.

Die Buchmesse neuen Typs wäre also eine, bei der das Reden über Bücher endgültig in die Hotelfoyers, wo die Deals besiegelt werden, und in die Halle der Literaturagenten abgewandert ist; auf der es bei den Schriftstellern wie bei allen anderen Fachbesuchern auch nur auf den Bekanntheitsgrad des jeweiligen Namens ankommt und die Schriftsteller das aber auch selbst wissen; bei der drittens die Themen auf eine zweite Ebene gerutscht sind und eigentlich nur noch über die Buchmesse selbst geredet wird.

Man kann in so einer Situation verschiedene Erfahrungen machen. Unsere bestand darin, dass gerade in der beschriebenen Lage der Unübersichtlichkeit tatsächlich auf der Hand liegende Themenangebote umso begieriger genutzt werden. Als taz-Redakteur jedenfalls löste man überall gespannte Erwartungen aus: Hey, endlich jemand, mit dem man über etwas anderes reden konnte, die taz-Krise nämlich. Eine gewisse Sehnsucht nach Ernsthaftigkeit ist ja doch vorhanden. Bei Verlust des einen großen Themas werden die vielen kleinen Themen, das kann man mit nach Hause nehmen, umso wichtiger.

DIRK KNIPPHALS