Vaterland ist Menschheit

Ein Dokumentarfilm führt die Biografien von Inge Viett und María Barhoum aus Uruguay zusammen und landet auf der Suche nach Bezugspunkten der beiden auf Kuba

Ohne Ende lässt es sich sicher darüber streiten, ob die Verhältnisse im südamerikanischen Uruguay und der Bundesrepublik der späten Sechziger und beginnenden Siebziger objektiv miteinander vergleichbar sind. Die Deutsch-Schweizerin Kristina Konrad beschäftigt sich stattdessen lieber mit zwei Protagonistinnen jener Jahre, spürt gemeinsame Bezugspunkte der beiden Frauen auf und lässt sie sich treffen. Auf Kuba begegnen sie sich 1988, im geschützten Raum gewissermaßen.

Inge Viett hat Spanisch gelernt: „Kubaner sind kommunikativ und poetisch in ihrer Lebensweise . . .“, liest sie aus ihrem Unterrichtsmaterial in die Kamera. María Barhoum korrigiert ihre Aussprache. Die Frauen spazieren um das Ehrenmal Che Guevaras, sehen eine Rede Fidel Castros, finden eine emotionale Heimat, als der Alte den kubanischen Nationalhelden José Marti beschwört: „Vaterland ist Menschheit“.

Inge Viett war eine der meistgesuchten deutschen Terroristinnen, gehörte in den Siebzigern der „Bewegung 2. Juni“ und später der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) an und ging 1982 in die DDR ins Exil. María Barhoum schloss sich im gleichen Zeitraum den Libertären Anarchisten Uruguays an, kämpfte gegen die Militärs, floh nach Argentinien, später ins schwedische Exil, um 1985, nach dem Fall der Diktatur, nach Montevideo heimzukehren. Kuba ist ein gemeinsamer Bezugspunkt der Frauen und ein Ort der Rückschau auf ihr bisheriges Leben. Eigentlich haben alle Revolutionen, alle Befreiungsbewegungen alles falsch gemacht, resümiert Inge Viett. Aber wichtig ist, dass Leute die Welt verändern wollten, stimmt María Barhoum ihr zu.

„In Kuba hat es funktioniert, mit fünfzehn Leuten haben sie angefangen“, erinnert sich Inge Viett und verweist auf den revolutionären Elan, der seinerzeit bis in die Westberliner Frontstadt zündelte. „Wir dachten damals, wir könnten auch siegen. Und so dachte man auch in Argentinien und in Brasilien“, bestätigt María Barhoum. Zwei Frauen, die auf abenteuerliche Weise nach einem Weg aus beklemmenden privaten wie politischen Verhältnissen suchten.

Mit Zeitzeugeninterviews, ausführlichem dokumentarischem Material, persönlichen Erinnerungen und Reflexionen verdichtet der Film die Frage nach dem „Wie“. Endgültige Antworten hat er nicht parat. Keine spektakulären Anleitungen für ein Leben im Jetzt. Allenfalls die Feststellung, dass niemand zum Helden geboren wird. Und dass auch bittere Erfahrungen wie der Verlust von Freunden, Exil oder jahrelanger Knast einen Menschen nicht vollends brechen müssen. PETRA GROLL

„Große Freiheit – Kleine Freiheit“.Regie: Kristina Konrad. Mit Inge Viett und María Barhoum. Deutschland/Uruguay 1999/2000, 83 Min.