Goethefarben gegen Honeckergrau

Der Künstler Hermann Geyer aus Plauen im Vogtland ließ sich bereits zu DDR-Zeiten von der Anthroposophie inspirieren. „Wenn das schön bunt wäre“, sagte er sich und bemalte unter anderem heruntergekommene Fassaden und Straßenbahnen

von HOLGER KLEMM

„Komm rein, de Treppe nauf!“, ruft eine kräftige Stimme durch das Haus. Hermann Geyer streicht gerade einen Türrahmen in gelbweißorange. Neben der Eingangstür hängt sein neuestes Werk. Auf zwei mal drei Metern erstrecken sich Baumstämme im Winterwald in sanften Formen und Farben. Hinter diesem friedlichen Motiv dreht eine Militärmaschine ab. Das Bild wirkt kalt, der Raum auch. Das Atelier ist vollgestellt mit begonnenen und fertigen Gemälden, Kisten und Farben.

Er legt den Pinsel weg und stellt den Wasserkessel auf den Camping-Gaskocher: „Ich mache uns einen Kräutertee“. „Einen gesunden“, schiebt er nach. Als ob das extra betont werden müsste. In der Küche sind es 15 Grad. Der Tee ist heiß, das Gesicht Hermann Geyers warm. Es ist markant, die Nase groß, das breite Kinn ist glatt rasiert. Ehe die Haare grau wurden, waren sie braun. Bei genauem Hinsehen erkennt man es noch. Er ist 43 Jahre alt. Seine Falten kommen eher vom Lachen. Er lacht oft, manchmal etwas schrill.

Mit 16 kam er zur Anthroposophie, durch eine Lehrerin an der Abendschule in Plauen im Vogtland, das damals im Bezirk Karl-Marx-Stadt und heute in Sachsen liegt. Für ihn war die Gemeinschaft die einzige Alternative in DDR-Zeiten, um spirituelle Anregungen zu bekommen. Hermann Geyer gibt der steinerschen Philosophie in vielen seiner Gemälde Farbe und Form. „Malen ist für mich nur mit diesem tiefen kreativen Impuls möglich.“

Vom Küchenfenster aus sieht man bergan die Burgstraße. Sie liegt brach. Bis 1989 standen hier noch Häuser, alt und zweigeschossig; manche waren leer. In einem von ihnen hatte Hermann Geyer sein Atelier. An der Tür ein Schild: „Dieses Haus ist schon geplündert. Der Rest wird noch gebraucht.“ Die Fassaden waren landestypisch grau.

„Wenn das schön bunt wäre!“, sagte er sich.

Zusammen mit den Künstlern Rainer Müller, Angelika Wedde und Peter Luban bemalte er 1988 über Wochen hin fünf Häuser. Die apokalyptischen Reiter zogen ihre Bahn, und leuchtende Menschen stiegen die Wände empor. Obwohl die Aktion unpolitisch war, wurde sie ein Politikum. „Schachtelberge von Filmen“ fand er vor dem Atelier, so viel wurde fotografiert. Farbe als Sensation. Erst als die Fassaden fertig waren, kam ein Abschnittsbevollmächtigter und sagte freundlich, Hermann Geyer möge aufhören.

Ein Jahr später wurde die gesamte Straße dem Erdboden gleichgemacht. Zwei große Projekte, zwei Kunstgebilde gingen zu Grunde – das von Hermann Geyer und die DDR. Im Herbst 89 gab es – neben der Wende – ein weiteres Stadtgespräch. Eine bunte Straßenbahn fuhr durch Plauen, die Mensch-und-Welt-Bahn, bemalt von Hermann Geyer. Im Zentrum der Gestaltung stand das Kind. Als Symbol für die Kreativität. Andere Motive wirkten märchenhaft, die einen ein bisschen zu gut für diese Welt, andere etwas zu düster, fast böse. Von oben schwebten Engel herbei und halfen dem bedrohten Kind. Ein Trabant zog dicke Abgaswolken hinter sich her, wie das damals so war. Und in einer Ecke hielt ein Technikwesen ein hilfloses Menschlein am Genick fest.

1992 wurde die Bahn aus dem Verkehr gezogen. Inzwischen waren auch die anderen Straßenbahnen bunt. Allerdings von Werbung. „Man wird verstopft davon“, sagt Hermann Geyer. Verkauft nach Bad Schandau, fährt der Zweirichtungswagen jetzt „einheitlich weißgelb“ durch das Elbsandsteingebirge.

Im Foyer des Plauener Vogtland-Theaters hängen seit 1994 zwei große Bilder von Hermann Geyer. Das männliche und das weibliche Prinzip treffen zusammen. Zwei skurril anmutende Menschengruppen gehen aufeinander zu, einer schwebenden Jungfrau und einem springenden Clown folgend. Nein, das Theater wurde weder abgerissen noch geschlossen. Es fusionierte nur mit dem Zwickauer Theater. Leben als Gesamtkunstwerk.

Die Zeiten der großen Werke scheinen für Hermann Geyer erst einmal vorbei zu sein. Das neue Bild am Eingang mit Winterwald und Kampfflugzeug hat bisher noch keinem wirklich gefallen, sagt er. Oder hat nur noch keiner seine Symbolik entschlüsselt? Wenn er erzählt über seine Ansichten zu Politik und Wirtschaft, Kunst und goethescher Farblehre, dann versteht man ihn. Er spricht überzeugt, ohne missionarisches Pathos. Zwischendurch immer wieder sein breites, fröhliches Lachen.

Was macht der Künstler, wenn er nicht malt? Bogenschießen. Für Hermann Geyer ist es eine Seelenübung. Konzentrieren, loslassen, treffen. Und er konzentriert sich oft. Die Holzhütte im Hof zerbröckelt vor lauter Einschüssen. Daneben steht die Badewanne. „Zweimal täglich baden ist eine Unsterblichkeitserfahrung“, sagt er. Morgens kalt, abends heiß. Dazu macht er ein Holzfeuer unter der Zinkwanne. Auch das Wasser ist gesund bei Hermann Geyer. Er behandelt es dreifach. Nach dem Filtern reichert er es mit Sauerstoff an und energetisiert es. „Erst danach kann das Wasser wieder Lebensenergie aufnehmen.“ Und er gibt Mal- und Zeichenunterricht. Er beginnt nicht mit dem Technischen; das kommt später. Er beginnt mit der Botschaft, die jeder gestaltet und die da lautet: „Ich liebe mich.“