Ein Museum für die Kartoffelstäbchen

Im belgischen Martogne sur Meuse hat das goldgelbe Nationalgericht eine eigene Ausstellung bekommen: Alles über Saucen, Sorten und Geschichte

Die Liebe zum Kartoffelstäbchen– heiß und fettig –ist Flamen undWallonen heilig

von ASTRID REICH
und GÜNTER ERMLICH

In den Vereinigten Staaten heißen sie French Fries, in England Chips, bei uns Pommes oder Fritten – und in Belgien schlicht Frites. Im wallonischen Städtchen Martogne sur Meuse haben sie seit März den Weg in ein eigenes Museum gefunden. Im Musée des Frites sind zehn kleine Ausstellungsräume rund um die belgische Fritte und Frittenkultur entstanden.

„Wo kommen die Fritten her?“ steht als Motto über dem ersten, der Historie gewidmeten Raum. Dem belgischen Historiker Jo Gérard zufolge sind die Fritten vor gut 200 Jahren in Belgien erfunden worden. Schon 1780 pflegten Hausfrauen in Lüttich und anderen Orten entlang der Maas Fischstückchen in Fett zu braten. Wenn aber im Winter die Gewässer zugefroren waren, schnitten sie stattdessen Kartoffeln in Stäbchen und frittierten sie anschließend. Die Geburtsstunde der Pommes hatte geschlagen.

Aus dem Reich der Mythen und Legenden stammt die Erklärung, die in „Asterix chez les Belges“ nachzulesen ist. Sie zeugt vom Einfallsreichtum und von der Fresslust der unerschrockenen belgischen Krieger. Als Gueuselambix, der kolossale Nervier, ein kleines Römerlein nach dem kochenden Öl in seinem Kessel fragen will, fällt dieses entsetzt in Ohnmacht („tomber dans les pommes“). Der metaphorische Ausdruck einerseits, das blubbernde Öl andererseits bringen ihn auf die zündende Idee der frittierbaren Kartoffeln.

Der nächste Raum widmet sich ausschließlich der „Fritten-Formenvielfalt“. Eine Philosophie für sich. Die 08/15-Fritte ist viereckig, sieben Zentimeter lang und einen Zentimeter dick. Eine Variante hat leicht abgerundete Enden. Die bleistiftdünnen Überlangen, Juliennes genannt, täuschen gekonnt Kalorienarmut vor. Sechskantige Fritten sind eine verhältnismäßig neue Darbietungsform. Ihr Schöpfer Guiseppe Bonsignore, trotz des Spaghetti-Namens ebenfalls ein Belgier, ließ sie im Jahr 1987 patentieren. Fast barock im Design ist die Fritte mit dem charakteristischen Wellenschnitt, die von Spezialmaschinen mit rotierenden Messerpaaren produziert wird. Im belgischen Volksmund heißt sie „Meeresfritte“, weil man sie in Kombination mit Muscheln („Moules frites“) besonders gern an der belgischen Kanalküste verspeist. Achtkantige Fritten, erfahren wir, werden vom Verbraucher bisher noch nicht goutiert.

Die „Bildergalerie“ offenbart, dass auch Prominente den Mund von Pommes nicht vollkriegen können. Wir sehen den verblichenen König Baudouin und den amtierenden König Albert beim Pommes-Diner auf einem Kartoffelfest, Eddy Merckx vor der wohnwagenähnlichen Frituur in Bastogne, Jacques Brel auf der Promenade in Oostende und das „Kampfschwein“ Eric Wilmots an der Stadionbude von Standard Lüttich. Sie alle lächeln glücklich, aber ein wenig verlegen in die Kamera. Fotografie und Kunst zeugen von der breiten Vulgarisierung der Fritten. Das Museum zeigt zwei Originale, den Rest stellen Reproduktionen mehr oder weniger bekannter Werke dar: Ein unbekannter Meister malte zu Beginn des Jahrhunderts ein herbstliches Stillleben mit Fritten, daneben hängt eine Replik von James Ensor („Jeune homme avec frites“), und dann findet sich ein Frühwerk von René Magritte. Fritten schweben überlebensgroß vor einem Acker mit violetten kubischen Früchten. Gestritten wird in der Kunstwelt dagegen noch um die Bedeutung kleiner, ockerfarbener Stäbchen, die in manchen prächtigen Tableaux des älteren Breughel zu erkennen sind.

„Het Belgisch Frietenboek“ ist die Pommes-Bibel, für die Wallonen wurde sie auch ins Französische übersetzt. Im Museum liegt eines der seltenen Exemplare der Originalausgabe von 1952 aus, mit glänzenden Fettflecken auf den Seiten und dem Einband. Auf den Schautafeln daneben sind einige wichtige Abschnitte reproduziert. So erfahren wir, warum die geeignetste Kartoffelsorte möglichst 80 Prozent Bintje enthalten sollte, dass Fritten am besten mit der Hand frisch vor der Zubereitung geschnitten werden sollten – und man dafür ruhig einige belgische Francs mehr bezahlen kann – und schließlich, dass sie unbedingt zweimal frittiert werden müssen. Heiß und fettig, innen weich und außen kross, so müssen Fritten sein.

Die Museumsinitiatoren Jean-Claude Ceulemans und Huguette Huon wurden von dem unverhofften Besucherandrang überrollt – seit der Eröffnung vor neun Monaten strömten schon über 23.000 Frittenhungrige in ihr staatlich subventioniertes Privatmuseum. Selbst Freunde der bildenden Künste, auf Vermeer bis Delvaux abonniert, „finden als Begleiter ihrer begeisterten Sprösslinge in unser Musée des Frites“, erzählt Ceulemanns schmunzelnd.

Nachdem die Texte zunächst nur in Französisch und Flämisch abgefasst worden waren, mussten schnell Kurzversionen in Deutsch und Englisch erstellt werden.

„Modelle der Distribution und Präparation der Pommes“ werden ebenfalls zur Schau gestellt. Der älteste bekannte Frittenautomat, ein solider chromblitzender Trumm aus den Siebzigerjahren, stand in St. Vith in den belgischen Ostkantonen. Aus dem westfälischen Unna kommt der postmoderne „FrittMaster“: Münzeinwurf, Wahltasten, Display („Bitte entnehmen Sie“), Ausgabeluke, Gabelschacht. Im Frittenauftaugerät „eloma airfrit“, das schon so manchen Singlehaushalt bereichert, werden tiefgekühlte Pommes frites mit heißer Luft durchgewirbelt und gegart.

Saucen! Ein eigenes Kapitel, ein eigener Ausstellungsraum. In Glasvitrinen stehen Schälchen mit farbenfrohen Saucenkreationen. Haben wir zwischen Rhein und Oder zumeist nur die Alternative zwischen Pommes rot (Ketchup) und weiß (Mayonnaise), so können unsere belgischen Nachbarn zwischen 21, in Worten einundzwanzig!, verschiedenen, kalorienstarken Würzpasten wählen: Mayonnaise, Tatare, Senf, Ketchup, Ketchup Curry, Aioli, Tomate, griechische Tomate, andalusisch, amerikanisch, brasilianisch, provencalisch, Chili, Pili, Béarnaise, Barbecue, Kaninchen, Cocktail, Hawai, Samurai. Ein Saucen-Schlaraffenland!

Museumsbesucher können durch Knopfdrücken ein permanentes Saucen-Referendum veranstalten: Zurzeit liegt die andalusische Sauce mit 30,2 Prozent vorne, gefolgt vom Klassiker Mayo (25,7 Prozent) und der Sauce Tatare (12,5 Prozent).

Der zentrale Raum „Fritten als Faktor der belgischen Esskultur“ zeigt mit Videos und interaktiven Animationen, Dias und einigen Hologrammen die tief greifende Liaison von frittierter Kartoffel und belgischem Bürger. Denn im Verzehr frittierter Erdäpfel sind die Belgier, weltstatistisch gesehen, einsame Spitze: Jede Belgierin und jeder Belgier verspeist im Schnitt pro Jahr – ohne Übertreibung! – 48 Kilo Pommes.

Im Rahmen eines Frittürenwettbewerbs, der alle zwei Jahre stattfindet, testet eine vierköpfige Jury unangemeldet 80 Betriebe unter den abertausenden Frituuren im Land. Der Gewinner darf sich anschließend hochoffiziell „Belgiens Fritterie des Jahres nennen. Mehr noch: Die Adressen der Vier- und Fünf-Sterne-Fritterien sind längst Kult, noch unbekannte Pommesperlen zwischen Malmedy und de Panne werden als Geheimtipps gehandelt. Selbst der Drei-Sterne-Koch Pierre Wynants vom „Comme chez soi“, dem Brüsseler Feinschmeckerlokal, hat sich unlängst als Frittenfan enttarnt: „Jedesmal, wenn ich auf den Fußballplatz gehe, esse ich Fritten. Ich mag sie wirklich.“

Das Naserümpfen kulinarischer Snobs, die die Kartoffelstäbchen als Junkfood und – noch übler – als „Brechstangen des schlechten Geschmacks“ diskreditieren, verweist der gekrönte Koch ins Reich der Arroganz. Und dass sich die Franzosen über die „Pommes frites“ genannten Belgier mokieren, nein, da hört der Spaß nun wirklich auf. Mögen sich Flamen und Wallonen im Alltag noch so abschotten und auf der politischen Bühne bekriegen, die Liebe zum Kartoffelstäbchen ist allen heilig: „Belgien, einig Frittenland“.

Genau hier liegt der einzige gravierende Kritikpunkt: Die Schau kreist zu einseitig um den Nabel der belgischen Fritte. Wurde doch der globale Siegeszug von Tasmanien bis Grönland erst von der Dominanz der US-amerikanischen Fast-Food-Ketten ermöglicht. Erst sie haben Maschinenstraßen für den schnellen Zuschnitt der Kartoffeln und elektrische Fritteusen eingeführt.

Eine kleine Warnung: Mit leerem Magen sollte man die Ausstellung auf keinen Fall besuchen. Zu verführerisch ist die belgische Leib- und Magenspeise präsentiert. Doch wabert kein Pommesgeruch durch die Räume. Am Ende die Erlösung: Durch eine olfaktorische Schleuse betritt der Besucher das „Museumscafé“, Rekonstruktion einer Frittenbude von 1928. In diesem nostalgischen Ambiente gibt es saftige belgische Fritten mit 17 verschiedenen Saucen zur Auswahl, darunter die Eigenkreation „sauce musée“ – die Rezeptur wird nicht verraten.

Bon Appetit, Smakelijk, Guten Appetit!

Musée des Frites 6, Rue des Ardennes, B-7531 Martogne sur MeuseÖffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr. Eintrittspreise: Erwachsene 7 DM, Kinder von 6 bis 12 Jahren3,50 DM. Internet: www. fritten.ned