Die Gildemeister-Connection

Die Untersuchung oder Der Untergang des Hauses Kohl. Folge sechs

von KLAUS MODICK

Mit einem satten Seufzer der Selbstzufriedenheit schenkte sich Hartmut Gossel einen zweiten Cognac ein, legte die Beine auf die aufgeräumte Leere seiner Schreibtischplatte und erging sich in vorfreudigen Fantasien über das anstehende Weekend, das er mit Lore wieder einmal in einem lauschigen Hotel im Elsass verbringen würde. Man würde bei Kerzenschein dinieren, statt Saumagen Austern und Pasteten essen und statt halbtrockenem Pfälzer staubtrockenen Edelzwicker schlürfen. Dann würde man sich zu lauschiger Zweisamkeit in die kleine Suite der verschwiegenen Herberge zurückziehen und statt Mensch-ärgere-dich-nicht jene milde frivolen Spielchen spielen, die Lore so sehr liebte, die der dicke Alte mit ihr aber nie hatte spielen wollen und bei denen sie unter Gossels kundigen Händen zur vollen Wucht ihrer postklimakteriellen Reife erblühen würde.

Gossel nippte am Cognac und seufzte erneut, diesmal bekümmert, litt er doch unter dem Schatten dauernder Geheimniskrämerei, der über seinem Verhältnis zu Lore lag. „Das muss aber unter uns bleiben, Bärli“, hatte sie kokett getuschelt, als er sich damals zum ersten Mal an ihrem maiglöckchenblauen Bustier zu schaffen gemacht hatte. „Ein bisschen Diskretion muss schon noch sein. Ich bin doch nicht die Weber.“ Und von dieser Bedingung war sie seitdem nicht abgerückt. Gossel hatte das nur widerwillig akzeptiert, weil, das musste er sich in Momenten der Ehrlichkeit gegen sich selbst eingestehen, es schon ein Triumph erster Klasse wäre, mit der vom Volk fast ja schon wie Evita Perón verehrten Kanzlergattin in der Öffentlichkeit aufzutreten. Was für eine Presse das geben würde! Er, Hartmut Gossel, Chef des Senders, Intendant sozusagen, Arm in Arm und verliebten Augs in Aug mit Lore, beispielsweise in Bayreuth oder seinetwegen auch auf der Bambi-Verleihung, egal wo eigentlich, Hauptsache, die Welt würde erkennen, dass er, Gossel, jede haben konnte, wenn er nur ...

Das Telefon riss ihn aus derlei omnipotenten Träumereien. Seine Sekretärin Yvonne, die vorhin mit dem Stapel Endlospapier hektisch durch die Redaktion gestöckelt war, erkundigte sich, ob er einen Besucher zu empfangen bereit ...

„Wer ist es denn?“, knurrte Gossel unwirsch.

„PR-Agentur Güldemeister & Partner, Köln. Herr Dr. Güldemeister persönlich.“

„Kenn ich nicht“, murrte Gossel. „Was will der denn?“

„Es geht offenbar um die Sache Kohl“, säuselte die Sekretärin. „Aber Details will er nur mit Ihnen besprechen.“

„Woher weiß der denn was von meinem schönen Projekt?“, schnarrte Gossel. „Haben wir hier etwa einen Maulwurf in der Redaktion?“

„Einen Maulwurf?“ Yvonne überlegte einen Moment. „Nein, Chef, aber der dicke Schmidt hat ein Glas mit Goldfischen auf seinem Videoschrank und ...“

„Ach Gott, Yvonne, lass mal gut sein“, klirrte Gossel. „Und schick mir diesen Onkel Doktor rein.“

Gossel nahm die Füße vom Tisch, verstaute Flasche und Glas in der Schreibtischschublade, klappte die Unterschriftenmappe auf, heuchelte Betriebsamkeit und blickte demonstrativ gestresst auf, als nun der unverhoffte Besucher eintrat, ein sonnenbankbrauner, ondulierter Blonder mit Möllemann-Schnauzer, dezent gemustertem Maßanzug, Aktenköfferchen aus Leder, vermutlich Büffel oder Nilpferd.

„Güldemeister“, stellte er sich vor, „Dr. Siegbert Güldemeister, PR-Agentur. Entschuldigen Sie bitte, dass ich hier so hereinplatze, aber eine telefonische Vorabsprache verbot sich allein schon aus Sicherheitsgründen. Lauschangriffe und so weiter, na ja, Sie wissen schon.“

„Gewiss, gewiss“, murmelte Gossel. Das klang nun in der Tat einigermaßen wichtig, wenn nicht gar schon konspirativ, und so wies er dann Güldemeister mit lässiger Geste den Besuchersessel vor seinem Schreibtisch an. „Aber so ganz verstehe ich Sie noch nicht.“

„Ich komme unmittelbar zur Sache“, eilfertigte Güldemeister ölig lächelnd. „Meine Agentur ist mit einer Imagekampagne für den Herrn Bundeskanzler beauftragt, und zwar ...“

„Für Schröder? Der braucht doch keine Imagekampagne mehr“, entfuhr es Gossel.

„Für den Herrn Exbundeskanzler, um genau zu sein. Für Herrn Dr. Kohl. Sie kennen ja die, nun ja, Bredouille, in der er sich derzeit befindet. Schwarze Kassen, Verfassungsbruch, CDU-Krise, Untersuchungsausschuss etcetera pepe. Insbesondere seine Auftritte vor dem Untersuchungsausschuss bedürfen dringend PR-mäßiger Betreuung. Das ist so weit kein Problem und Sache meiner Agentur. Was uns jedoch fehlt, ist ein Drehbuch, das die, nun ja, Verstrickungen des Herrn Dr. Kohl in diesen, je nun, Sumpf, dergestalt motiviert und sozusagen erzählt, dass der als Täter geschmähte Dr. Kohl endlich als das erscheint, was er ist.“

„Und das wäre?“, fragte Gossel atemlos.

„Das unschuldige Opfer übler Machenschaften natürlich.“

„Natürlich“, nickte Gossel.

„Uns fehlt also diese Story“, fuhr Güldemeister fort. „Und Ihre Firma ist dafür bekannt, dass sie aus den, nun ja, dürftigsten Ideen irgendwie immer noch eine Story bastelt, die glaubhaft rüberkommt.“

Gossel nickte geschmeichelt. „Getreu meiner Maxime, dass die gute Hausfrau auch noch aus einer alten Socke eine gute Suppe macht.“

„So ist es. Sie haben die entsprechenden Top-Scriptschreiberlinge. Setzen Sie die an die Sache und basteln uns den Hintergrund. Im Vordergrund wirken wir.“

Eigentlich war das unfassbar. In gewisser Hinsicht wollte Güldemeister von Gossel das Gleiche, was Gossel von seinen Mitarbeitern wollte, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Er massierte sich die Stirn, überlegte, dachte kurz an Lore, schmorte, dachte länger an sinkende Einschaltquoten und Werbeeinnahmen.

„Geld spielt keine Rolle“, half Güldemeister Gossels Denken auf die Sprünge. „Jüdische, je nun, Vermächtnisse hat es nicht nur in Liechtenstein gegeben.“

Von Klaus Modick sind kürzlich die Essaysammlung „Milder Rausch“ sowie die Weihnachtserzählung „Vierundzwanzig Türen“ erschienen. – Am kommenden Samstag folgt Ralf Bönt.