Die Fledermaus im Windkanal

Bristol ist das Hollywood der Tierfilmer, der „Goldene Panda“ der Oscar der Branche. Doch wo die BBC mit digitalen Dinosauriern Maßstäbe setzt, wird’s eng für die herkömmlichen Produzenten: Budgets schrumpfen, Ansprüche steigen

von HERBERT OSTWALD

Tierfilmer sind eine eigenartige Species. Freiwillig verzichten sie einen Großteil des Lebens auf die eigenen vier Wände mit Sofa, Chips und Flimmerkiste. Stattdessen hocken sie zehn, zwölf Stunden am Tag für Monate in tarnfarbenen Kakihemden im Unterholz. Oft allein, bestenfalls zu zweit. Und warten. Warten modernd, stinkend oder frierend auf irgendeine gottverlassene Kreatur, die sie auf Film bannen und an einen Sender verkaufen können.

Diese Species gibt es wirklich, Gott sei Dank, sonst wüssten wir ja nicht, wie es das Goldköpfige Zwergseidenäffchen im Dschungel treibt. Doch längst erfüllen nicht alle Tierfilmer mehr dieses Klischee. Auch dieses Genre unterliegt den Anforderungen der boomenden Medienbranche. Tierfilm ist Business und muss sich im Wettbewerb mit anderen Unterhaltungsprogrammen messen lassen. Und die neuesten Trends der TV-Tierwelt erfährt man bei „Wildscreen“. Alle zwei Jahre im Oktober strömen knapp 1.000 Kameraleute, Autoren, Produzenten und Einkäufer aus Büschen und Büros ins britische Bristol zum weltgrößten Naturfilmfestival.

Dort wird so etwas ähnliches wie der „Grüne Oscar“ verliehen, etwas massiger zwar als sein Vorbild aus Hollywood, aber bei Tierfilmern trotzdem heiß begehrt: der „Goldene Panda“. Und das Ganze mitten im Mekka der Tierfilmer.

Denn in der südenglischen Kulturmetropole sitzt die 250-köpfige Spezialistencrew der ehrwürdigen BBC, die „Natural History Unit“. Von ihr werden Tierfilme am Fließband produziert und exportiert. Sie diktiert den Standard. Für Millionenaufwand wird dort eine Filmfauna geschaffen, wie sie Grzimek noch nicht kannte und Sielmann es noch nicht konnte: Gezähmte Adler werden mit Minikameras ausgerüstet, Fledermäuse durch Windkanäle geblasen und tote Tiere im Computer zu neuem Leben erweckt. Tiere haben sich in erfolgreichen Filmen nach Drehbuch zu verhalten. Oder sie werden eben künstlich neu geboren, wie die erstaunlich lebendigen Dinos, die dem Privatsender Pro 7 mit seinem jugendlichen Publikum eine dicke Quote brachten. Der neueste Hit der schönen neuen Tierwelt: „ARKive“. Eine digitale Arche der BBC im Zentrum Bristols, ein virtuelles Museum von Bildern, Geräuschen und Informationen über bedrohte und ausgestorbene Tiere und Pflanzen, das weltweit auch übers Internet abrufbar ist.

Alles was kreucht und fleucht im Computer – wozu also noch Tierfilmer? Keine unberechtigte Frage, denn, so der allgemeine Trend bei „Wildscreen“, die Zahl der Sendeplätze schrumpft, der Tierfilmer selbst steht auf der „roten Liste“.

Noch vor wenigen Jahren war das anders, da boomte der Tierfilm. Weltweit war der Bedarf für possierliche Tierchen so groß, dass auf fast allen Kanälen nahezu täglich Gnus grunzten und Hamster rammelten. Am Ende zu viel Viehzeugs? Zu viel schlechte Produktionen? Zu billig? Zu teuer? Zu blutrünstig? Oder zu langweilig?

Nach Belieben picken sich Sendeverantwortliche weltweit das eine oder andere Argument heraus, um Viechereien aus dem Programm zu streichen und mit Comedy, History oder Shows zu füllen. Alles für die Quote. Dabei haben Tierfilme in der Prime Time am Abend nach wie vor ein beachtliches Millionenpublikum. Nicht der Zuschauer ist es satt, die drei großen „F“ des Tierfilms präsentiert zu bekommen: Feeding, Fighting, Fucking. Oftmals sind nur die „Hohen Tiere“, die Entscheidungsträger in den Häusern, nicht mehr vom Appeal der sexy species, der großen, beißenden Viecher überzeugt. Immer wieder Löwen, Elefanten, Nashörner und Wale.

So stellen die Programmmacher die verunsicherten Tierfilmer vor ein Dilemma: Immer hochwertigere, pfiffigere Produktionen bei schrumpfenden Budgets werden verlangt. Deutsche Tierfilmer bringt diese Strategie an den Rand der Existenz: Im Land von Grzimek, Stern und Sielmann mangelt es zwar nicht an hochklassigen Kameraleuten. Aber an der Bereitschaft in den Sendern, für deren Arbeit auch über einen längeren Zeitraum Geld zu investieren – unabhängig von Quoten. Die ARD verbannte schon einmal die „Expeditionen“ ins unattraktivere Nachtprogramm, die ZDF-Redakteure der „Wunderbaren Welt“ kämpfen um ihre Sendeplätze. Und die Privaten produzieren gar nicht oder nur gemeinsam mit den Tiermultis BBC, Discovery und National Geographic. Von den Privatsendern leistet sich nur Vox noch den Luxus einer bescheiden bezahlten „Tierzeit“. Ohne Futter aber überleben weder Tier noch Filmer. Dabei lebt der gemeine Tierfilmer deutscher Art noch immer, auch aus finanzieller Not, den inneren Grzimek aus. Er versucht sich wie in televisionären Pionierzeiten als Einzelgänger: Idee, Dreh, Buch, Text – alles aus einer Hand, „ein Film von: Mir“. Hausbacken, humorlos, lehrmeisterhaft, so das Bild englischer und amerikanischer Produzenten über unser Tierfilm-Entwicklungsland.

Schluss damit, aus, Cut! Das sagen sich zumindest Annette und Klaus Scheurich aus Heidelberg. Die beiden erfahrenen und prämierten Tierfilmer von „Marco-Polo-Film“ gehen neue Wege. Sie versuchen internationale Koproduzenten für die wachsende Zahl neuer Tierfilmer zu interessieren. Mit größeren Budgets sollen sie dann je nach Talent gemeinsam recherchieren, filmen und texten können. Das soll den beschäftigten Enthusiasten auch international das Überleben und den Sendern den erschwinglichen Tierfilm retten helfen.

Mit mehr Mensch-Tier-Geschichten, wie der Trend es will. Ein Mix aus Abenteuer, Kultur, Geschichte, Ethnologie und hochwertigen Wildlife-Bildern geht derzeit am besten. Aber Trends ändern sich schnell, so schnell, dass es unflexiblen Tierfilmern wie den (echten) Dinosauriern ergehen könnte. Wer sich nicht weiterentwickelt, verschwindet einfach von der Bildfläche.

Herbert Ostwald (40) ist Biologe, Autor und Tierfilmproduzent von wild.doc in Köln. E-mail: wild.doc@t-online.de